Macrons neues Einwanderungsgesetz kompromittiert sich mit rechtsextremem Gedankengut
Am Ende entgleiste dann alles.
Anfang des Jahrs hatte Frankreichs Exekutive gegen erbitterten Widerstand auch und gerade der Straße eine Rentenreform durchgeboxt. Nach dieser stark polarisierenden Episode sollte ein konsensfähiges Immigrationsgesetz die Wogen glätten. Unzimperliches Durchgreifen, ja Härte, aber auch Gerechtigkeit und eine Form von Offenheit wurden versprochen.
Von Letzteren ist in dem Text, der am Dienstagabend durch beide Parlamentskammern angenommen wurde, kaum mehr etwas übrig. Ein Leitartikel von „Le Monde“ brachte am Mittwochvormittag die entgeisterten Reaktionen einer breiten Koalition republikanischer Interessen auf den Punkt, die von linken Idealisten bis zu bürgerlichen Realisten reicht: „Selten ist in den vierzig Jahren, seit sich die politische Debatte in Frankreich des Themas der Einwanderung bemächtigt hat, eine Regierung ein derartiges Maß an Kompromissen mit jenen Kräften eingegangen, die auf der Abstempelung von Ausländern zu Sündenböcken gedeihen. Nie zuvor hatte eine Exekutive akzeptiert, dass ein Entwurf für ein Einwanderungsgesetz, den sie selbst mit dem Ziel verfasst hatte, Linke und Rechte hinter sich zu versammeln, zu einem Katalog von Maßnahmen entarten würde, die eines Flugblatts des Rassemblement National (RN) würdig sind.“
Die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen rieb sich in der Tat die Hände: Der Text stelle einen Schritt in die richtige Richtung dar, ja einen „ideologischen Sieg“, enthalte er doch Vorkehrungen, die der RN seit langem fordert. "Le Pen ist noch nicht an der Macht“, frohlockte die Stellvertretende Parteichefin mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2027, „aber ihre Ideen werden bereits umgesetzt“! Zu diesen „Ideen“ zählen die Einschränkung des Anrechts regulär in Frankreich lebender Ausländer auf gewisse Sozialleistungen wie Kinder- und Wohngeld und die Einstellung des automatischen Verleihs der französischen Staatsbürgerschaft an im Lande geborene Kinder ausländischer Eltern. Dabei ist die Gleichheit zwischen Franzosen und fremden Staatsbürgern (bis auf natürlich das Wahlrecht) in der Verfassung verankert und zählt das Ius soli zum Grundstock der republikanischen Prinzipien.
Weitere Vorkehrungen des Gesetzestextes sind die Erschwerung der Familienzusammenführung, das Abhalten einer jährlichen Parlamentsdebatte über Einwanderungsquoten, die Wiedereinführung der 2012 abgeschafften Kriminalisierung des illegalen Aufenthalts, die Einkassierung einer finanziellen „Kaution“ bei der Einreise ausländischer Studenten und die Erhöhung ihrer Studiengebühren, endlich die Einschränkung der Erteilung der spezifischen Aufenthaltsgenehmigung für schwerkranke Ausländer (die die Behandlungskosten fortan in Gänze selbst tragen müssen).
In der letzten Diskussionsrunde hatte eine paritätische Kommission aus sieben Senatoren und sieben Abgeordneten fast allen Forderungen von Les Républicains (LR) nachgegeben. Einst der staatstragende Arm des bürgerlichen Lagers, ist dieser zunehmend entfernte Nachfolger der gaullistischen Partei seit der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy immer weiter nach rechts abgedriftet. Heute liebäugelt er unverhohlen mit rechtsextremem Gedankengut. Macron, der für die Annahme des Einwanderungsgesetzes auf die Stimmen von LR angewiesen zu sein glaubte (am Ende votierte auch der RN geschlossen für den drastisch verschärften Text), hatte den Parlamentariern des eigenen Lagers Kompromiss auf Kompromiss abgezwungen.
So kam eine Kompromittierung heraus: Nicht nur die linke Opposition entsetzt sich über einen „republikanischen Dammbruch“ und eine schreiende Legitimierung des RN-Gedankenguts. Fast ein Viertel der Abgeordneten des Regierungslagers enthielt sich des Votums oder stimmte gar gegen den Text – unter Letzteren der Leiter der paritätischen Kommission, der an die dreißig (!) darin enthaltene Maßnahmen für verfassungswidrig hält. Der Gesundheitsminister ist bereits zurückgetreten, fünf weitere Minister machen aus ihrer Ablehnung des Textes kein Hehl. Sogar die Vereinigung der jungen Präsidentenanhänger Jeunes avec Macron ist klar gegen das Gesetz.
Doch auch treibende Kräfte der Gesellschaft zeigen sich bestürzt. Fünfzig Vereinigungen, Gewerkschaften und NGOs geißelten den „repressivsten Text seit vierzig Jahren“. Universitätspräsidenten, Hochschulleiter und die Direktoren der wichtigsten Handelsakademien beklagten einen Angriff auf die Werte des Universalismus, der Weltoffenheit, des freien Wissensaustauschs, des Geistes der Aufklärung. Sogar der Präsident des nicht eben linken Arbeitgeberverbandes Medef bekundete seine „Frustrierung“, dass in der Debatte das Wesentliche vergessen worden sei: „Braucht Frankreich im kommenden Jahrzehnt eingewanderte Arbeitskräfte, ja oder nein?“
Comments