Kreuzritter unter dem Banner einer bedrohten katholisch-weißen Nation
- marczitzmann
- vor 3 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag
Wie der rechtsextreme Milliardär Vincent Bolloré via die Medien der sogenannten „Bollosphäre“ einen Kulturkampf führt
François Coty (1874 bis 1934) war ein französischer Milliardär, der mit seinem im Parfumgewerbe erworbenen Vermögen nach dem Ersten Weltkrieg Tageszeitungen aufkaufte beziehungsweise gründete. Den gutbürgerlichen „Figaro“ trimmte der Mussolini-Bewunderer auf stramm rechts, im auflagenstarken Volksblatt „L’Ami du peuple“ hetzte der Plutokrat gegen Juden, Kommunisten, Parlamentarier, vor allem aber Immigranten. Hundert Jahre später hat Frankreich – den Antisemitismus ausgenommen – einen neuen Coty: den stockkatholischen, „antiwoken“ Vincent Bolloré. Auch er ein Selfmademan, der nach Anfängen in der hochverschuldeten familieneigenen Papierfabrik als „Kapitalist ohne Kapital“ durch An- und Verkäufe von Bank-, Film- und Versicherungsunternehmen viel Geld gewonnen hat.

In Afrika betrieb Bolloré über Jahrzehnte hinweg in über vierzig Staaten Häfen, Bahnlinien und Containerterminals sowie Kautschukbaum- und Ölpalmen-Plantagen. Doch die fetten Jahre der sogenannten Françafrique sind vorbei. Frankreich zieht sich militärisch zurück aus Schwarzafrika – Bolloré Africa Logistics hatte dort lukrative Verträge für entsprechende Transporte. Und gegen die Unternehmen des Milliardärs mehren sich Justizklagen wegen Korruption, Hehlerei, Geldwäsche, Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Zugentgleisungen. So hat Bolloré seine Transport- und Logistik-Filiale 2022 verkauft – mit etwa der Hälfte des Erlöses von 5,7 Milliarden Euro will er den südafrikanischen Pay-TV-Anbieter MultiChoice übernehmen. Und so zum fast konkurrenzlosen Beherrscher des betreffenden Markts auf dem Kontinent aufsteigen.
Denn seit 2005 hat sich der Börsenraider und Industriepirat zum Medientycoon gewandelt. Heute besitzt Bolloré Radio- und Fernsehsender, eine Wochenzeitung sowie Magazine zuhauf, von „Fourchette et Bikini“ für körperbewusste Köchinnen über „Geo“ und „National Geographic“ bis hin zu „Harper’s Bazaar“ und „Télé Z“. Zuzüglich das Videoportal Dailymotion und die Werbeagentur Havas, den Konzertsaal L’Olympia sowie die Verlagsgruppe Hachette.
Bei der Übernahme etablierter Informationsmedien wie i-Télé (2017 in „CNews“ umbenannt), Europe 1 oder „Le Journal du dimanche“ brachte Bolloré jeweils die Redaktion auf Linie. Dabei kam zur Anwendung, was in Frankreich als „stratégie du putois“ bekannt ist: Ein stark ideologisch konnotiertes „Stinktier“ wird den Journalisten vor die Nase gesetzt, wem davon übel wird, steht die Tür offen. Bei i-Télé streikte so 2016 die ganze Redaktion 31 Tage lang gegen die Ankunft eines Schmuddelmoderators, der seitdem wegen sexueller Übergriffe an Minderjährigen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden ist. Doch Bolloré saß am längeren Hebel: Am Ende verließen 95 Journalisten den Sender, womit die Redaktion fast leer stand. Dasselbe Szenario spielte sich im Sommer 2023 beim „Journal du dimanche“ ab: Ein langer Streik gegen die Ankunft des vormaligen Chefredakteurs einer rechtsextremen Zeitschrift, gefolgt vom Weggang von 90 Prozent der Schreibenden. Und auch dem angesehenen Fayard-Verlag setzte Bolloré Mitte 2024 ein „Stinktier“ vor: Die Ernennung von Lise Boëll, der „Verlegerin der Reaktionäre“ (namentlich Jordan Bardella, Philippe de Villiers und Éric Zemmour), wirft bis heute hohe Wellen.
Bei der Übernahme von Canal+ kam die „stratégie du putois“ 2014 nicht zur Anwendung. Doch mussten Journalisten bald den Hut nehmen, wurden die kultverdächtige Satireshow „Les Guignols de l’info“ und die Recherchesendung „Spécial Investigation“ eingestellt – und griff Bolloré selbst zum Telefon, um einen Beitrag über einen seiner Geschäftsfreunde abzusetzen. Als Gruppe ist Canal+ heute ein schizophrenes Gebilde. Auf der einen Seite bietet die Plattform MyCanal einen Sender mit LGBTQ+-Inhalten und finanziert die Filmproduktionsfiliale StudioCanal Kinostreifen, die für Diversität, Inklusion und Progressismus einstehen. Bis auf die Kritik des Katholizismus scheint hier vieles möglich – Bolloré ist auch ein Geschäftsmann, der viele Geschmäcker zu befriedigen sucht.
Doch auf der anderen Seite führten beziehungsweise führen die Canal+-Sender C8 und CNews einen eigentlichen Kulturkampf. So zeichnet letzterer Nachrichtenkanal das Bild eines Frankreichs, das von Islamisten und „Wokisten“ verheert wird. 2023 ging es in Infobändern von CNews an 335 von 365 Tagen um Muslime und Immigranten, eruierte das Kollektiv Sleeping Giants, das gegen die Finanzierung von Hassinhalten durch Werbung kämpft. Obsessiv wühlt CNews nach jeder noch so nichtigen Nachricht, die sich gegen Mohammedaner und/oder Einwanderer instrumentalisieren lässt. Dabei wird dem Sender aus einem Gestörten christlicher Konfession auch gern einmal ein islamistischer Terrorist – Fakten werden in den Medien der „Bollosphäre“ geläufig verbogen. Berufen sich andere Fernsehredaktionen auf Quellen wie die Nachrichtenagentur AFP oder Regionalzeitungen wie „Le Parisien“, so speist sich CNews auch aus rechtsextremen Websites wie Boulevard Voltaire, wo nicht gar aus Fdesouche, der Presseschau der Faschosphäre. Weitere ideologische Markierer sind die einseitig proisraelische Linie, das Totschweigen sexueller Übergriffe, die Negierung von Polizeigewalt und das systematische Schlechtmachen von Demonstranten.
Auf C8 wütete seinerseits Cyril Hanouna, über dessen Entgleisungen ich hier und hier berichtet habe. Doch war der Spaßmacher, der zum Scharfmacher entartete, bloß das schillerndste Rädchen in einer umfassenden Propagandamaschinerie. So bot die C8-Sendung „Face à l‘info“ ab Ende 2019 einem lauten Leitartikler des „Figaro Magazine“ ein Podium für seine reaktionären, fremdenfeindlichen Tiraden. Und baute damit Éric Zemmour als Alternative (oder, je nachdem, als Rivalen) von Marine Le Pen in den Präsidentschaftswahlen 2022 auf.
Wie stark der „Unterhaltungssender“ C8 sich einer politischen Agenda verschrieben hatte, zeigte sich letzten Sommer, als Hanouna zwischen den beiden Runden der Parlamentswahlen vor laufenden Kameras sein Handy zückte, um die rechte Hand Zemmours mit der rechten Hand Le Pens in Verbindung zu setzen. „Union der Rechten“ lautete damals die von Bolloré propagierte Losung zwecks Machtergreifung – der Milliardär höchstselbst hatte den Chef der einst bürgerlichen Partei Les Républicains zum Tête-à-Tête empfangen, bevor dieser am Folgetag seinen Bündnisschluss mit den Rechtsextremen bekanntgab.
Die „Bollosphäre“ bildet keine Partei, aber sie ist schreiend parteiisch. Für den Staat stellt sich die Frage nach dem Umgang mit einer solchen Lobby. Sender, denen die öffentliche Hand einen Kanal des digitalen terrestrischen Fernsehens zur Verfügung stellt, sind an Auflagen gebunden. CNews und C8 haben ihre Verpflichtung zu Pluralismus und Berufsethik aufs Gröbste verletzt, wofür es Dutzende von Mahnungen der Medienaufsichtsbehörde Arcom hagelte und die Geldstrafen zu insgesamt 7,6 Millionen Euro anwuchsen. Am Ende riss den Zuständigen die Geduld: Mitte 2024 entzogen sie C8 die Lizenz. Die „Bollosphäre“ stilisierte den Sender zum Märtyrer der Meinungsfreiheit, aber angesichts der hohen Verluste (368 Millionen Euro seit 2016) dürfte Canal+ insgeheim nicht unfroh gewesen sein über den propagandistisch ausschlachtbaren Vorwand für die Schließung des Kanals Ende Februar.
Jüngste Publikationen wie das Büchlein „Le Péril Bolloré“ der Journalistin Marie Bénilde und der am 24. April veröffentlichte Bericht „Le système Bolloré, de la prédation financière à la croisade politique“ von Attac und dem Observatoire des multinationales mahnen bereits in ihrem Titel vor der „Gefahr“, die Bolloré darstellt, beziehungsweise vor dem „politischen Kreuzzug“, den der Bretone führt. Die kulturkämpferische Positur ist eine Besonderheit in einem Land, in dem Milliardäre als Besitzer von Mediengruppen die Regel bilden. Bernard Arnault, Martin Bouygues, Patrick Drahi, Xavier Niel und andere nehmen über ihre Blätter und Sender gern Einfluss, sie verteidigen darin ihre Interessen wie auch jene von Geschäftspartnern. Aber sie propagieren nicht Fremdenhass und Muslimfeindlichkeit, sie sehen sich nicht als Kreuzritter unter dem Banner einer bedrohten katholisch-weißen Nation.
Für Bolloré scheint der vermeintlich hehre Zweck auch die Mittel zu heiligen. So zögert der CNews-Moderator Pascal Praud nicht, mit Namen genannte Unbekannte, die angeblich konservative Stimmen zum Schweigen zu bringen suchen, dem Zorn des rechtsextremen Fußvolks auszuliefern. Viele der Betreffenden erhielten Todesdrohungen, eines der Opfer musste gar unter Polizeischutz gestellt werden. Und gegen NGOs bringt der Milliardär das französische Gegenstück von Putins Trollfabriken ins Spiel. So schuf ein Kommunikationsunternehmen mit dem irreführenden Namen „Progressif Media“ falsche Websites, um Reporters sans frontières und Sleeping Giants durch karikaturartige Inhalte zu diskreditieren. Diese Firma, an der der Milliardär Anteile hält, ist im Pariser Sitz einer Filiale von Vivendi untergebracht – einem Konzern, dessen Hauptaktionär Vincent Bolloré heißt.
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