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Zartbesaiteter Wüstling

Aktualisiert: vor 4 Tagen

Zu den zwei Gesichtern des (un)heiligen Monstrums Gérard Depardieu anlässlich seiner Verurteilung wegen sexueller Nötigung

 


Franzosen haben einen kuriosen Ausdruck für ihre künstlerischen Kultfiguren: „monstres sacrés“. Das Adjektiv steht für die gleichsam sakrale Unberührbarkeit des schöpferischen Genies, das Substantiv für etwas Abnormales, wo nicht gar Unmenschliches im Wesen der betreffenden Figur. Ein „heiliges Monstrum“ ist ein Oxymoron, eine Vermählung von Gegensätzen, jedenfalls eine doppelgesichtige Kreatur. Niemand verkörpert diese Zwitternatur schlagender als Gérard Depardieu. In seinem Heimatland gilt der Schauspieler und Frauenschänder als „poète et paillard“, frei übersetzt als „zartbesaiteter Wüstling“. Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner üppigen Brust, von denen die eine – freilich seit langen Jahren zunehmend selten – singt und flötet, derweil die andere grapscht und pupst.


Am 13. Mai nun ist Depardieu in Paris wegen der sexuellen Nötigung zweier Frauen zu achtzehn Monaten Gefängnis auf Bewährung sowie zur Zahlung von Geldstrafen verurteilt worden (sein Anwalt hat sogleich Berufung eingelegt). Seit 2018 haben 22 mutmaßliche Opfer den heute 76-Jährigen vor der Justiz oder in den Medien sexueller Übergriffe bezichtigt (hier mein Beitrag dazu). Etliche Fälle sind verjährt, aber zumindest einer – bei dem von Vergewaltigungen die Rede ist – könnte zu einem zweiten Prozess führen.


Der Urteilsverkündung wohnte der Angeklagte nicht bei: Nachdem er 2023 publik gemacht hatte, er nehme keine Kinoangebote mehr an, weilt Depardieu dieser Tage auf den Azoren, wo seine Busenfreundin Fanny Ardant ihm die Hauptrolle in ihrem jüngsten Spielfilm angetragen hat. (Bild: flickr)
Der Urteilsverkündung wohnte der Angeklagte nicht bei: Nachdem er 2023 publik gemacht hatte, er nehme keine Kinoangebote mehr an, weilt Depardieu dieser Tage auf den Azoren, wo seine Busenfreundin Fanny Ardant ihm die Hauptrolle in ihrem jüngsten Spielfilm angetragen hat. (Bild: flickr)

„Haben Erfolg, Macht oder das Ausbleiben von Reaktionen seitens einer Umwelt, die ihn bewunderte und die zugleich von seinem Ruhm profitierte, Depardieu auf Irrwege geführt?“, fragen die „Le Monde“-Journalisten Raphaëlle Bacqué und Samuel Blumenfeld in ihrem letztes Jahr veröffentlichten Buch „Une Affaire très française“ („Eine sehr französische Affäre“, nicht übersetzt). Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen: „Das Genie ist zum Monstrum geworden. Oder eher: Beide haben sich ineinander verwoben, wie ein Stoff, der aus Goldseide wie aus grobem Leinen gewirkt wäre. Blickt man auf sein Leben zurück, stößt man ständig auf diese zwei Menschen in einem, den wunderbaren Schauspieler und den unerträglichen Belästiger, den Ausnahme-Poeten und das obszöne Individuum“.


Schon Bertrand Blier, mit dem Depardieu 1973 den Film drehte, der ihn berühmt gemacht hat, „Les Valseuses“ (deutsch: „Die Ausgebufften“), befand seinerzeit über den Jungschauspieler: „Er hat die Füße im Kot und verkörpert doch die literarische Grazie.“ Proletenkörper und Poetenstimme sind seit je Markenzeichen des Darstellers – leider aber auch sexuelle Übergriffe, vor wie hinter der Kulisse. In „Les Valseuses“ gibt es eine ganze Reihe davon, wie auch in anderen Filmen der 1970er Jahre, in denen Depardieu durch seine ungewöhnliche, um nicht zu sagen: abnorme Erotik skandalisierte. So Barbet Schroeders „Maîtresse“, eine sadomasochistische Liebesgeschichte zwischen einem Einbrecher und einer Domina, oder Marco Ferreris „La Dernière Femme“ („Die letzte Frau“), in dem der Schauspieler meist nackt auftritt und sich am Ende das Gemächt abschneidet.


Spätestens seit „Police“ („Der Bulle von Paris“, 1985) gehören Entgleisungen aber auch zum Alltag auf dem Set. Begrüßt er ein weibliches Mitglied der Crew, kneift Depardieu diesem gern zum Ausruf „Tüt, tüt“ in Hintern oder Brust. Auch vor noch intimeren Berührungen schreckt er – sogar vor laufender Kamera – nicht zurück, vom Dauerhagel verbaler Unflätigkeiten ganz zu schweigen. Da kaum jemand je etwas gesagt hat – der Regisseur Alain Corneau zählte 1984 zu den wenigen beherzten Ausnahmen –, nahm sich der Star immer mehr heraus. Im letzten Jahrzehnt „kommunizierte“ er so bei Dreharbeiten meist nur noch mit gebrüllten Schweinereien oder mit dem Gegrunze eines brünstigen Ebers. Ein Arzt, der den tierischen Trunkenbold jahrelang aus halben Alkoholkomas zu erwecken pflegte, diagnostizierte, seine Sexualität sei „laut, animalisch und bewusst ekelerregend“.


Neben „Police“ wirkte Depardieu noch in drei weiteren Filmen von Maurice Pialat mit – alle sind von finsterer, faszinierender Wucht. Der Regisseur, ein „perverser Sadomasochist“, so Sophie Marceau, die Hauptdarstellerin von „Police“, teilte mit Depardieu den Trieb, junge Frauen zu erniedrigen. Der Jungstar sah den Älteren erklärtermaßen als eine Vaterfigur an, deren Gebaren er nachzuahmen und womöglich noch an Gemeinheit zu übertreffen suchte. Pialats Einfluss war eindeutig schädlich – doch sein perniziöser Same fiel auf einen Boden, der von Haus aus eminent empfänglich war.


Depardieus Janusköpfigkeit äußerte sich auch hier in seiner Übergriffigkeit gegenüber „schwachen“ Frauen, das heißt solchen, die dem Star als kleine Rädchen im großen Getriebe der Filmmaschinerie ausgeliefert waren. Derweil er die auch soziokulturell höhergestellten „starken“ Frauen, die (oft zeitgleich) sein Leben teilten, laut deren Aussage respektierte. So Élisabeth Guignot, seit 1970 seine Gattin, von der er sich 1992 trennte, wie auch Karine Silla, Carole Bouquet und Hélène Bizot. Nachdem die beiden Letztgenannten um 2005 mit ihm gebrochen hatten, ging laut den wenigen Vertrauten, die der sinkende Stern da noch hatte, alles den Bach runter. Alkohol und Drogen; mindestens sieben Motorradunfälle im Suff; impulsgetriebene, oft unrentable Investitionen in Weingüter, Restaurants, Immobilienagenturen, Bohrinseln in Kuba; das steigende Desinteresse für die Filmkarriere bei zunehmender Gier für Geld und für die „Verbrüderung“ mit Diktatoren, von Alijew und Lukaschenko über Fidel Castro und Kadyrow bis hin zu Putin…


Instrumentalisiert wurde Depardieu dabei nicht nur durch starke Männer mit schwacher Moral im Ausland, sondern auch durch Vektoren der Reaktion daheim. Frankreichs Rechtsextreme goutierten seine ostentative Fleischfresserei, seinen rabiaten Antiamerikanismus‘, seinen Machismo, der sogar mit der kindlichen Teilnahme an Gruppenvergewaltigungen kokettierte, seine Russland-Verklärung bis hin zur Annahme der entsprechenden Staatsbürgerschaft 2013 und dem Übertritt zum orthodoxen Christentum 2020, seine Verbreitung haarsträubender (Verschwörungs-)Theorien wie derer, dass das Pentagon das HI-Virus geschaffen habe oder dass den Experimenten in NS-Lagern medizinische Fortschritte zu verdanken seien.


In gestelzter Sprache verbrämt hat diesen (seitens Depardieus wohl ungewollten) Schulterschluss der anrüchige Essayist Richard Millet, Autor einer „Literarischen Lobrede auf Anders Breivik“, die auf Deutsch im neurechten Verlag Antaios erschienen ist. In seinem 2014 veröffentlichten Pamphlet „Le Corps politique de Gérard Depardieu“ („Der politische Körper von Gérard Depardieu“, nicht übersetzt), einer zugleich kurzatmigen und langfädigen Jeremiade über den Niedergang Frankreichs unter den vermeintlichen Stößen der drei „M“ (Migration, Multikulturalismus, Menschenrechte) sowie „der Frau (und ihrer Nebenprodukte: Homos, Kinder, Tiere…)“ (sic), stilisiert Millet den „einzigen nicht auf die Yankeewerdung der Welt reduzierbaren Franzosen“ zur Inkarnation des nationalen Genius‘: „Sprache, Tradition, Christentum“. „Er ist der französische Körper“, gerät der Exeget der leiblichen Regungen seines zweieinhalb Zentner schweren Subjekts so ins Schwärmen, „aufstoßend, einen fahren lassend, schnuppernd, erbrechend und schallend lachend“ – bevor der illuminierte Essayist zu einer „Politischen Lobrede auf das Furzen“ anhebt. Spätestens da stürzt das forciert Hehre ins farcenhaft Leere ab. Hinter den Masken offenbart das Doppelgesicht zwei identisch blöde, böse Fratzen.


Der Jahrhundert-Cyrano selbst hat die Zerrissenheit zwischen Poet und Monstrum besser zu verbinden gewusst. In „Innocent“ („Unschuldig“, nicht übersetzt), einem der drei Büchlein mit stark apologetischem Tonfall, die seit 2015 unter seinem Namen im Pariser Kleinverlag Le Cherche midi erschienen sind, sinniert das monstre sacré: „Ein Dichter ist jemand, der sich traut, bis ans Ende dessen zu gehen, was er ist, auch wenn es schwierig ist. Der keine Hemmungen hat, der sich nicht um die Herde schert, dem es egal ist, ob er wohlwollend ist oder nicht. Auf die Gefahr hin, jene zu verletzen, die er liebt, ja, die ganze Welt zu schockieren: Ein Dichter bleibt ganz und unversehrt. Drum ist er stets monströs.“




Verwendete Literatur:

Raphaëlle Bacqué und Samuel Blumenfeld: Une affaire très française. Éditions Albin Michel, Paris 2024. 192 S., Euro 20,90.

Richard Millet: Le Corps politique de Gérard Depardieu. Pierre-Guillaume de Roux, Paris 2014. 128 S., Euro 17,90.

Gérard Depardieu: Innocent. Le Cherche midi, Paris 2015. 188 S., Euro 16,90.

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