Ins Herz der Finsternis
- marczitzmann
- vor 3 Tagen
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Aktualisiert: vor 3 Tagen
Christopher Maltman und Pablo Heras-Casado differenzieren in Wagners „Walküre“ fünfzig Nuancen von Tiefdunkel aus
„Die Walküre“ ist die mit Abstand populärste Oper von Wagners „Ring“. Doch findet sich darin die wohl unbeliebteste halbe Stunde der ganzen Tetralogie, noch vor der ähnlich langen Wissenswette in „Siegfried“: Wotans sogenannter Monolog im zweiten Aufzug. In Tat und Wahrheit handelt es sich dabei um eine erst nachdenklich, dann zunehmend hitzig formulierte Innenschau des Gottes, die sich vom Zwiegespräch mit dem zweiten Ich namens „Brünnhilde“ in ein Streitgespräch – also in einen konfliktgeladenen Dialog – verwandelt, als die titelgebende Göttertochter ihren Unwillen kundtut, weiterhin als Wotans Wille zu agieren und Siegmund, wie befohlen, in den Tod zu führen.

Dass ausgerechnet diese Szene zum heimlichen Höhepunkt der Pariser Neuproduktion gerät, spricht für das Können der Beteiligten. Christopher Maltman kommt dabei das besondere Verdienst zu, für den erkrankten Iain Paterson eingesprungen zu sein. Der britische Bariton legt seinen Wotan zwischen den Koordinaten „Kantabilität“ und „Dramatik“ an. Ersteres meint ein Timbre, das weniger tiefdunkles Ebenholz evoziert denn warmbraunes Mahagoni; eine Projektion, die – selbst im Riesenraum der Opéra Bastille – trägt, ohne indes zu dröhnen; und ein auf runde Phrasierung sowie auf sanfte Farben bedachter Zugriff, der immer wieder „italienisch“ tönt, aber ohne deplatzierte Italianità – Maltman singt ebenso geläufig Verdi wie Wagner. „Dramatik“ seinerseits beinhaltet klare Diktion und idiomatische Aussprache des Deutschen als Grundlage für die Vermittlung des Textes, vor allem jedoch Verständnis für die Dynamik der jeweiligen Szene und das Vermögen, diese mit den Mitteln der Gesangskunst über die Bühne zu bringen. Die unbeliebteste halbe Stunde der ganzen Tetralogie steigert Maltman so als tönendes Emblem der tragischen Verstrickung des Gottes von der dumpfen Klage bis zum wütenden Befehl – man hängt durchweg an seinen Lippen, von den Worten „In eigner Fessel fing ich mich, ich Unfreiester aller!“ bis zu „Siegmund falle! Dies sei der Walküre Werk!“.

Wesentlich zur Sogkraft dieser Szene tragen Dirigent und Orchester bei. Die vielbeklagte Farb- und Formlosigkeit des „Monologs“ sehen Pablo Heras-Casado und die stupenden Instrumentalisten der Pariser Nationaloper gleichsam als eine Herausforderung an, fünfzig Nuancen von Tiefdunkel auszudifferenzieren und die Konturen des Flauen gerade so weit zu schärfen, dass aus dem Herzen der Finsternis – sprich: aus den tiefen und tiefsten Lagen des Orchesters – faszinierende Klangfiguren aufsteigen: Fagotte in Terzen, schwarzsamten tremolierende Streicher, Hörner und Tuben in weichen Akkorden, fast ohne Ansatz, wie Orgeltöne – dann ein einzelner Liegeton der Bassklarinette, ein Beben der Pauke, abfallende Tonleitern der Posaunen, wie Treppen in bodenlose Abgründe…
Fesselnder lassen sich Wotans anfängliche Zerrissenheit, dann seine (selbst)mörderische Frustration nicht zu Gehör bringen. Schon aus diesem Grund kann ich die Klage über Heras-Casados angeblich reliefloses Dirigat, das ein Teil von Frankreichs Presse nach der Premiere anstimmte, nicht nachvollziehen. Bei der von mir besuchten zweiten Aufführung war nicht nur alles souverän durchdacht und disponiert, sondern auch nobel belebt und pathosfrei beseelt. Ein Temperamentbolzen ist der Spanier gewiss nicht, dafür jedoch ein feinnerviger, disziplinierter Musiker.

Mit Elza van den Heever und Stanislas de Barbeyrac ist das Wälsungenpaar adäquat besetzt. Erstere vermittelt, nicht frei von Schärfen, die Verletztheit und momentane Verlorenheit von Wagners unseligster Frauenfigur. Letzterer trifft sowohl Innigkeit und Inbrunst des ersten Akts als auch den feierlichen Ernst der Todverkündigung. Ob man dem Tenor als dem „ersten französischen Siegmund von internationalem Format seit den 1960er Jahren“ gleich ein ganzseitiges Porträt widmen muss, wie „Le Monde“ es tat, bleibe dahingestellt. Tamara Wilson als Brünnhilde beeindruckt ihrerseits zunächst mit stählernen „Hojotoho“-Rufen, singt sich im Schlussakt dann aber auch emotional warm. Rollenkonform und durchaus mit eigenen Akzenten versehen, Ève-Maud Hubeaux‘ unnachgiebige Fricka und Günther Groissböcks zähnefletschender Hunding. Calixto Bieitos sogenannte Inszenierung hingegen verdient, wie schon im „Rheingold“, bloß dies eine Epitheton: indiskutabel.





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