Die Firma
- marczitzmann
- 31. März
- 4 Min. Lesezeit
Aus Anlass der Verurteilung von Marine Le Pen: Der Rassemblement national als autoritär geführtes Familienunternehmen
Am 31. März 2025 gegen Mittag wurde Marine Le Pen vom Pariser Strafgericht der Veruntreuung öffentlicher Gelder für schuldig befunden. Das Datum wird Geschichte machen: Die Parlamentsabgeordnete ist seit 2021 nicht mehr die Präsidentin, aber bis heute die starke Frau – sprich: Führerin – von Frankreichs stimmstärkster Partei, des rechtsextremen Rassemblement national (RN, bis 2018 „Front national“: FN).

Dieser wird hierzulande oft „une affaire de famille“ genannt. Eine Familiengeschichte und ein Familienunternehmen ist der RN insofern, als die Sippe Le Pen in der Partei seit je das Sagen hat und Professionelles darin oft in eins fällt mit Privatem. Doch war die Bewegung nicht, wie meist behauptet, das „Kind“ ihres jahrzehntelangen Präsidenten. Die geistige Vaterschaft der Gründung des FN kommt vielmehr Verantwortlichen einer neofaschistischen Splittergruppe namens „Ordre nouveau“ zu: Diese rekrutierten den ehemaligen Abgeordneten Jean-Marie Le Pen 1972, um als vergleichsweise gemäßigte Figur das Aushängeschild des Rehabilitationsversuchs des seit Kriegsende geächteten Rechtsextremismus zu bilden. Doch riss Le Pen das Ruder bald an sich und besetzte den Parteiapparat mit Vertrauten – und mit Familienmitgliedern.
Seine jüngste Tochter, Yann, organisierte so Versammlungen und Veranstaltungen und polierte – etwa mit hagiographischen Büchern – das Image des Vaters. Die Älteste, Marie-Caroline, stieg bereits 1985 in die Politik ein und bekleidete diverse Ämter im Regionalrat der Île-de-France. Bei der Spaltung des FN 1998 schlug sich Jean-Marie Le Pens designierte Nachfolgerin indes auf die Seite von dessen „abtrünniger“ rechter Hand, Bruno Mégret – was ihr der Vater und die mittlere Schwester erst nach Jahren verziehen. So wurde am Ende Marine 2011 Parteipräsidentin. Und bildet seitdem, in den Springerstiefeln des Patriarchen, das Gesicht der Bewegung.
Alle drei Schwestern sind oder waren mit Parteiverantwortlichen liiert oder verheiratet. Und auch die dritte Generation tritt bereits prominent in Erscheinung: Yanns Tochter Marion Maréchal ist ein aufstrebender Stern der Identitären und National-Katholiken; der gegenwärtige Parteichef, Jordan Bardella, teilt seit 2020 das Leben der Tochter von Marie-Caroline.
Leitende Vertreter der Bewegung beklagen seit langem, dass außerhalb des Clans kein Heil sei. Gerade Marine Le Pen wurde durch den Vater immer wieder Erfahreneren und Verdienteren vorgezogen: Aufnahme ins Zentralkomitee, Ernennung zur Vizepräsidentin, Spitzenposition auf Wahllisten… Der Parteiführer begründete das damit, dass seine Tochter im Gegensatz zu anderen Verantwortlichen einen „Kontinuitätstrumpf“ besitzt – sie trägt den Namen „Le Pen“.
Wenig überraschend, kam es so mehrfach zum Bruch mit einer Nummer zwei, die über strategische Weitsicht (und meist auch parteiinterne Popularität) verfügte, aber nicht zur Verwandtschaft zählte. Kenner der Geschichte der Bewegung denken hier an Bruno Mégret, Carl Lang, Bruno Gollnisch, Jean-Claude Martinez, Florian Philippot. „Beim FN“, stellte Le Pen Vater 1998 klar, „gibt es nur eine Nummer: die Nummer eins!“
Regelmäßige Säuberungen hielten allfällige Bestreben im Zaum, selbst zu denken und zu handeln. Der Historiker Nicolas Lebourg, Autor einer „Histoire des numéros deux du FN“, beschrieb die Logik der mittelständischen Familienunternehmer Le Pen wie folgt: „Sie fürchten stets, eine Filiale möge ihnen zur Konkurrenz erwachsen“. Bruno Mégret ätzte nach der Spaltung 1998, Le Pen Vater habe „seine Bewegung aus Selbstgefühl zur Implosion gebracht, um der kleine Monarch des kleinen Geschäfts im Dienste seiner kleinen Familie zu bleiben“.
Nach seiner fünften Niederlage bei Präsidentschaftswahlen übertrug der Patriarch der mittleren Tochter 2011 die Leitung des Ladens. Doch störte er mit ständigem Dazwischenfunken deren Versuch einer „Dediabolisierung“ der weitherum verteufelten Partei: Verteidigung einer vermeintlichen „weißen Rasse“, antisemitische Anspielungen, die etwa einen jüdischen Varietésänger mit Verbrennungsöfen assoziierten, Verharmlosung der nazideutschen Besetzung als „nicht sonderlich unmenschlich“, Freispruch des Marschalls Pétain vom Vorwurf des Hochverrats (entgegen der entsprechenden Verurteilung 1945), wiederholte Relativierung der Gaskammern zu einem „Detail des Zweiten Weltkriegs“…
2015 schloss Marine Le Pen den Vater vom FN aus. Ohne einen symbolischen Mord des Familienoberhaupts – für welchen die untröstliche Tochter nach dem realen Tod des Patriarchen am Anfang dieses Jahres in willfährigen Medien Tränen der Reue vergoss – scheint in dieser Firma kein Führungswechsel möglich zu sein.
Nun stellt sich die Frage nach einem solchen. Marine Le Pen wurde neben vier Jahren Gefängnisstrafe (zwei auf Bewährung, zwei mit Fußfessel) zu fünf Jahren Unwählbarkeit verurteilt, mit sofortiger Wirkung. Selbst wenn sie, wie angekündigt, Berufung einlegt, wird sie nicht 2027 für den RN in ihren vierten Präsidentschaftswahlkampf ziehen können. Und auch die Kandidatur für jedes andere Wahlamt, ja selbst ein Ministersessel im Fall der Machtübernahme ihrer Partei sind ihr a priori bis 2030 verwehrt.
Endlich ist ihr Ruf als selbsternannte Sauberfrau ruiniert: Das Gericht legte Wert darauf zu betonen, dass die über gut zehn Jahre hinweg in einer Gesamthöhe von 4,6 Millionen Euro veruntreuten EU-Abgeordnetengelder nicht nur der Partei im Allgemeinen, sondern im Besonderen Mitgliedern des Clans wie Yann Le Pen, Marine Le Pens seinerzeitigem Lebensgefährten Louis Aliot sowie dem Leibwächter, der Sekretärin und dem Kabinettchef von Le Pen Vater zugutekamen. Ob die guten Zusprüche von Geert Wilders, Matteo Salvini, Viktor Orbán und Dmitri Peskow die brennende Schmach der öffentlich gebrandmarkten RN-Führerin lindern werden?
Der junge, propere Parteichef Jordan Bardella wäre der „natürliche“ Einspringer für 2027. Er hat sich – unter vehementen Treuebekundungen an Marine Le Pen – auch schon in Position gebracht, ist parteiintern aber nicht unumstritten: zu rechtsliberal, zu unternehmerfreundlich, zu „Sarkozy-kompatibel“. Mehr nach dem Geschmack der Basis wäre da Le Pens Nichte Marion Maréchal, die sich bis 2018 „Maréchal-Le Pen“ nannte. Mit ihr wäre auch der Markenname gewahrt, was einen klaren „Kontinuitätstrumpf“ bildete. Allerdings hat die heute 35-Jährige die Partei 2022 zugunsten von Éric Zemmours noch radikalerem Konkurrenzunternehmen Reconquête! verlassen und Ende letzten Jahrs die Präsidentschaft einer noch marginaleren Bewegung übernommen. Aber der Fall ihrer Tante Marie-Caroline hat gezeigt, dass Mitglieder des Clans das Privileg genießen, die Firma verlassen zu können – um Jahre später in ihren Schoss zurückzukehren.
Fortsetzung der Familiensaga folgt. In der Zwischenzeit geht es vielleicht einem anderen selbsternannten Saubermann an den Kragen: Am 10. April wird das Urteil im „libyschen“ Prozess gegen Nicolas Sarkozy verkündet (ich habe hier darüber berichtet).
Comments