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Abgründe von Machtgier und zynischer Unmoral

marczitzmann

Aktualisiert: 20. Jan.

Libysches Geld für französische Gegenleistungen? Zum Beginn eines in Frankreich beispiellosen Gerichtsprozesses fasst ein Kinofilm von „Mediapart“ die „Affäre Sarkozy-Gaddafi“ zusammen


Ein westlicher Präsidentschaftsanwärter: Nicolas Sarkozy. Ein afrikanischer Diktator: Muammar al-Gaddafi. Französische Minister, libysche Würdenträger sowie Mittelsmänner, die beide Parteien vor und nach der Präsidentschaftswahl 2007 in Verbindung gesetzt haben. Heimliche Geldflüsse nach Paris, diverse Gegenleistungen an Tripolis, bevor ein Bürgerkrieg im Gefolge des Arabischen Frühlings die Bande zerriss. Endlich bis heute andauernde Manöver Sarkozys und seiner Entourage, um das Geschehene zu vertuschen. Dies das haarsträubende Bild, das im Sommer 2023 der weit über fünfhundertseitige Bericht des richterlichen Verweisungsbeschlusses zeichnete, infolge dessen seit dem 6. Januar Frankreichs 2012 abgewählter Präsident, drei seiner ehemaligen Minister sowie neun Mitangeklagte in Paris vor Gericht stehen.


Eintritt der Angeklagten: Nicolas Sarkozy am 6. Januar im Tribunal correctionnel de Paris (Bild: flickr)
Eintritt der Angeklagten: Nicolas Sarkozy am 6. Januar im Tribunal correctionnel de Paris (Bild: flickr)

Die Onlinezeitung „Mediapart“, die Mitte 2011 den Stein ins Rollen gebracht hatte und seither der „Affäre Sarkozy-Gaddafi“ in nicht weniger als 165 Artikel nachgegangen ist, präsentiert anlässlich dieses in Frankreich beispiellosen Prozesses jetzt einen 103-minütigen Dokumentarfilm. „Personne n’y comprend rien“ von Yannick Kergoat, durch das Investigationsblatt koproduziert und durch drei seiner Redakteure mitgeschrieben, rollt für Kinogänger die Affäre noch einmal auf. Und zwar in gut fasslicher Form – der Titel „Niemand versteht nichts“ zitiert ironisch den Hauptangeklagten, der mit derlei Verlautbarungen zu verunklaren sucht, was auf dem Papier ziemlich klar ist. Ein weißes Bürgerhaus, auf dessen Wände Archivbilder projiziert werden; sechs „Experten“, die auf einem Holzstuhl Platz nehmen, um auszusagen; eingeblendetes audiovisuelles Material, angereichert mit kurzen Texten; eine Erzählerinnenstimme aus dem Off – mehr braucht es nicht für einen Film, der tief abtaucht in Abgründe von Geld und Gewalt, von Machtgier und zynischer Unmoral.



Alles beginnt mit einer Festplatte, die „Mediapart“ 2011 zugespielt bekommt. Diese enthält das digitale Archiv von Ziad Takieddine, einem libanesischen Geschäftemacher (freundlich formuliert) beziehungsweise Agenten der Korruption (weniger wohlwollend ausgedrückt). Fotos von Ferien mit Politikern, Aufstellungen seines – seinerzeit auf 97 Millionen Euro geschätzten – Immobilienbesitzes, aber auch Dokumente, die belegen, dass Takieddine weit über die erste Hälfte der 1990er Jahre hinweg für konservative französische Spitzenpolitiker als Mittelsmann agiert hat. So zwischen 1993 und 1995 betreffend Rückprovisionen auf Waffenverkäufe, die die (glücklose) Präsidentschaftskampagne des damaligen Premierministers Édouard Balladur mitfinanziert haben sollen – Sarkozy amtierte seinerzeit als Balladurs Sprecher.


So aber auch ab 2005, als Takieddine Treffen in Tripolis arrangierte zwischen zwei Leutnants Sarkozys (der zum Innenminister aufgestiegen war) und dem Schwager Gaddafis sowie Chef von Libyens Militärnachrichtendienst, Abdullah as-Sanusi. Sarkozys damaliger Kabinettschef Claude Guéant dinierte so im September, Sarkozys Ministerkollege und „bester Freund“ Brice Hortefeux im Dezember 2005 mit Sanusi – und zwar jeweils hinter dem Rücken von Frankreichs Diplomatie, ohne Leibwächter noch offiziellen Dolmetscher, einzig begleitet durch Takieddine, der simultanübersetzte. Der Geheimdienstler Sanusi war in keiner Weise frequentierbar: Als Auftraggeber des Anschlags auf eine Maschine der französischen Luftlinie Union des Transports Aériens (UTA-Flug 772) im Jahr 1989 in Niger, der 170 Todesopfer gefordert hatte, war er in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.


Sanusi (der heute in Libyen in Haft ist) wie Takieddine (der als Justizflüchtiger in Libanon lebt) haben ausgesagt, dass im Herbst 2005 ein Korruptionspakt geschlossen wurde: libysche Millionen für Sarkozys kommenden Wahlkampf gegen diplomatische, wirtschaftliche und juristische Gegenleistungen nach dem erhofften Wahlsieg. Im Oktober 2005 sei Sarkozy selbst unter einem offiziellen Vorwand (Innenminister betreiben für gewohnt keine Außenpolitik) nach Tripolis geflogen, um den Pakt in einem langen Tête-à-Tête mit Gaddafi zu besiegeln.


Nach seiner Kür zum sechsten Präsidenten der Fünften Republik im Mai 2007 galt seine erste offizielle Auslandreise dann Libyen. Dessen Revolutionsführer lud er im Dezember desselben Jahres zu einem sechstägigen, vielkritisierten Staatsbesuch nach Paris ein. Zudem traf Sarkozys persönlicher Anwalt Ende 2005 Sanusis Verteidiger in Tripolis und fand 2009 eine Sitzung im Élysée statt mit dem mutmaßlichen Ziel, den internationalen Haftbefehl gegen den Geheimdienstler zu annullieren. Libyen, seit langen Jahren ein geächteter Terrorstaat, war zurück auf dem internationalen Parkett. Bis ein Aufstand 2011 das Regime ins Wanken brachte, Sarkozy resolut (und mit durch die UNO abgesegneter Militärgewalt) Partei für die Rebellen ergriff – und Gaddafi auf der Flucht unter ungeklärten Umständen getötet wurde.


Handschlag zwischen Ehrenmännern: Sarkozy und Gaddafi beim Staatsbesuch von Letzterem im Dezember 2007 (Bild: flickr)
Handschlag zwischen Ehrenmännern: Sarkozy und Gaddafi beim Staatsbesuch von Letzterem im Dezember 2007 (Bild: flickr)

Keine Bankdokumente, keine Fotos, kurz: keine Beweise, lautete und lautet bis heute Sarkozys Verteidigung. Diese macht allerdings mehr Effekt in den Spalten freundlich gesinnter Blätter wie „Paris Match“ und „Le Figaro Magazine“ oder in den „Nachrichten“ rechter Kanäle wie „BFMTV“ als in den Artikeln von Investigationsjournalisten wie den „Mediapart“-Redakteuren Fabrice Arfi und Karl Laske oder im erwähnten Rapport der Untersuchungsrichter. Erstere und Letztere trugen in über zehnjähriger Sucharbeit handfestes Belastungsmaterial zuhauf zusammen, darunter eine Überweisung von Sanusi über Takieddine an einen engen Vertrauten Sarkozys oder ein durch den seinerzeitigen Chef von Libyens Auslandsnachrichtendienst unterzeichnetes Dokument von 2006, das 50 Millionen Euro Wahlhilfe versprach.


Wie viel Geld tatsächlich geflossen ist, lässt sich kaum eruieren. Takieddine will Sarkozy und Guéant persönlich drei Koffer mit insgesamt 5 Millionen Euro ausgehändigt haben; dazu kommt die genannte Überweisung in Höhe von 440 000 Euro. Ein ehemaliger Generalsekretär des Allgemeinen Volkskomitees von Libyen, dessen Leiche 2012 in der Donau gefunden wurde, hatte 2007 in einem Carnet die Summe von 6,5 Millionen Euro notiert. Am Ende des von Sarkozy im amerikanischen Stil geführten Wahlkampfs lagen noch immer 250 000 Euro in großen Scheinen unbekannter Herkunft in den Schränken der Parteikasse, was auf einen massiven Fluss von Bargeld schließen lässt. Claude Guéant hatte während der Kampagne einen übermannshohen Tresorraum in einer Bank gemietet, dessen Bestimmung er vor den Richtern nicht überzeugend zu rechtfertigen wusste. Und in der Person von Alexandre Djouhri gab es noch einen zweiten „Direktkanal“ zu Gaddafi – der mit Takieddine verfeindete Geschäftemacher traf sich innert fünf Jahren nicht weniger als 72 Mal mit Sarkozy oder dessen Kabinettschef und späterem Innenminister Guéant im Élysée; laut diesen, um zu plaudern.


Um die Affäre zu vertuschen, sollen Sarkozy und seine Gehilfen zu abenteuerlichen Mitteln gegriffen haben. So sei Gaddafis ehemaliger Kabinettschef Baschir Saleh erst von Libyen nach Frankreich 2011, dann, nach Enthüllungen von „Mediapart“, im Folgejahr von Frankreich nach Südafrika geschleust worden – trotz eines Haftbefehls von Interpol. Oder der spektakuläre Widerruf von Takieddines belastenden Aussagen 2020, den, wie „Mediapart“ herausfand, eine schillernde PR-Päpstin und Busenfreundin von Sarkozy und Carla Bruni dem ruinierten Flüchtigen gegen das Versprechen von 4 Millionen Dollar abgehandelt hatte, mit der Komplizenschaft von „Paris Match“ und „BFMTV“. Ein Ermittlungsverfahren wegen Zeugenbestechung und krimineller Vereinigung zwecks Justizbetrug läuft unter anderen gegen Sarkozy, gegen besagte PR-Päpstin und gegen Carla Bruni.


Im gegenwärtigen Pariser Prozess muss sich der ehemalige Präsident wegen passiver Korruption, krimineller Vereinigung, illegaler Wahlkampffinanzierung und Hehlerei veruntreuter öffentlicher (libyscher) Gelder verantworten. Angehörige von Todesopfern des UTA-Flugs 772, die der frischgewählte Präsident seinerzeit unter emphatischen Beistandsbekundungen empfangen hatte (während er zeitgleich womöglich die Drahtzieher des Anschlags weißzuwaschen suchte), treten als Nebenkläger auf. Am 10. April soll das Urteil verkündet werden. Sarkozy drohen, wie elf der zwölf Mitangeklagten, bis zu zehn Jahre Haft.


Filmstill aus „Personne n’y comprend rien“ (Bild: Belladone Films – Norte Productions – Mediapart 2025)
Filmstill aus „Personne n’y comprend rien“ (Bild: Belladone Films – Norte Productions – Mediapart 2025)



Der Dokumentarfilm „Personne n’y comprend rien“ von Yannick Kergoat läuft seit dem 8. Januar in über 50 französischen Kinos.

Fabrice Arfi und Karl Laske haben der „Affäre Sarkozy “ 2017 den 400-seitigen Band „Avec les compliments du guide“ gewidmet.

Ein materialreiches Dossier über die „Affäre Sarkozy-Gaddafi“ ist auf der Website von „Mediapart“ frei zugänglich.
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