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Reihenweise Amputationen

marczitzmann
Frankreichs Regionen und Départements kürzen ihre Subventionen mit der Axt. Etliche Glieder des tausendarmigen und -füßigen Kulturkörpers der Republik werden das Jahr 2026 nicht sehen.

 


Christelle Morançais hat ein ganz eigenes Verständnis von Folgerichtigkeit und dem Halten von Versprechen. 2021 erhöhte die Präsidentin der französischen Region Pays de la Loire das Budget für Kultur, Sport und Vereinsleben um 30 Prozent. Und gelobte: „Wir machen weiter!“. Ende letzten Jahrs nun kürzte Morançais die Betriebshilfe für rund fünfhundert regionale Kulturinstitutionen und -initiativen um satte 62 Prozent. Und suchte ihren Entscheid als „stark“ und „zukunftsträchtig“ zu verkaufen.


Schlucken mochte die solcherart versüßte Pille vor Ort niemand. Große Strukturen wie das Originalklangensemble Les Arts Florissants, das Theater Le Quai in Angers, das Festival La Folle Journée in Nantes oder der Konzertsaal Le VIP in Saint-Nazaire verloren ihre regionale Betriebssubvention ganz, Angers Nantes Opéra und das dieser Musikbühne verbundene Orchestre des Pays de la Loire je einen sechsstelligen Betrag. Vor dem Sitz des Regionalrats in Nantes demonstrierten 3000 Kulturschaffende. Besonders stoßend – wenngleich in der schönen, neu(liberal)en Welt, in der wir leben, mitnichten mehr eine Ausnahme – war der Umstand, dass es keinerlei Vorverhandlungen oder auch bloß Vorankündigungen gegeben hatte. Die Betroffenen erfuhren ihr Los per Post, Telefon oder E-Mail.


Demonstrationen in Nantes im Dezember 2024 (Bild: flickr)
Demonstrationen in Nantes im Dezember 2024 (Bild: flickr)

Auch andere regionale Rechtsregierungen nehmen in ihrem jüngsten Budget drastische Kulturkürzungen vor. In der Île-de-France sind es exakt 20 Prozent weniger, in Provence-Alpes-Côte-d’Azur rund 5 Prozent für die kleinen und etwa 10 Prozent für die großen Strukturen. Die Region Auvergne-Rhône-Alpes, die sich unter der Führung des stramm rechten Laurent Wauquiez seit 2022 eine Spezialität aus dem Einschrumpfen ihres Kulturetats gemacht hat – worunter selbst Institutionen von internationaler Ausstrahlung wie die Oper von Lyon leiden müssen –, verringert auch unter Wauquiez‘ Nachfolger (einem Parteigenossen und Protegé) abermals ihre Unterstützungen für „widerständige“ Sparten wie Theater und zeitgenössische Kunst – zugunsten von alten Gemäuern und Blaskapellen, namentlich.


Doch auch linke Regionen kürzen ihren Kulturetat: Nouvelle-Aquitaine etwa um knapp 6 Prozent. Und auch die Hälfte der 101 Départements, die nächstkleinere Gebietskörperschaft nach den 18 Regionen, planen laut Schätzungen, ihre Kulturausgaben um mindestens 40 Prozent (!) zu senken. Von vielen Gemeinde(verbände)n ganz zu schweigen.


Warum dieser flächendeckende Aderlass, dessen Ausmaß einstweilen nur zu erahnen ist, weil etliche Budgets noch der Verabschiedung harren? Der eine Grund liegt auf der Hand: Frankreichs Finanzen laufen völlig aus dem Ruder. Der Staat hat mit einem heftigen Ruck die Notbremse gezogen und die Gebietskörperschaften angewiesen, das Ihre beizutragen. Gemäß dem am 6. Februar verabschiedeten Staatsbudget müssen sie dieses Jahr 2,2 Milliarden Euro sparen – laut der Vereinigung der Bürgermeister Frankreichs, die ihre eigene Rechnung gemacht hat, sind es eher 6 Milliarden.


Dabei hat der Staat den Gebietskörperschaften in den letzten Jahren immer mehr Pflichten aufgebürdet und ihnen zugleich Mittel entzogen. Die Départements etwa sehen sich mit stetig wachsenden sozial(medizinisch)en Aufgaben betraut, verfügen aber nicht mehr über die 2023 abgeschafften Wohnungssteuern. Angesichts der Tatsache, dass die kumulierte Kulturförderung durch sämtliche Gebietskörperschaften das Doppelte des Etats des Kulturministeriums beträgt (2025 verfügt dieses über 4 Milliarden Euro, 150 Millionen weniger als im Vorjahr), dürften viele Kürzungen Amputationen gleichkommen. Etliche Glieder des tausendarmigen und -füßigen Kulturkörpers der Republik werden das Jahr 2026 nicht sehen.


Der andere Grund hat mit dem bösen Zeitgeist zu tun. Während linke Politiker, die Striche im Kulturetat vornehmen (müssen), das weinend, klagend und den Staat schlimmster Übel zeihend tun (etwa der Sozialist Kléber Mesquida, der die Kultursubventionen des Départements Hérault um 48 Prozent eingedampft hat), gibt es im rechten Lager eine (Noch-)Minderheit, die aus dem Kampf gegen Kultur einen Kulturkampf macht. Christelle Morançais, die Elon Musk „genial“ findet (das war vor den Hitlergrüßen), verunglimpft Kulturschaffende als Junkies, die sich mit Subventionen „shooten“, als Schmarotzer, die von öffentlichen Geldern leben, als Linksaktivisten, die ihr „Monopol“ missbrauchen.


Auch Valérie Pécresse, die Präsidentin der Region Île-de-France, die im Stil des die Kettensäge schwingenden argentinischen Turbolibertären Javier Milei die Schaffung eines „Axt-Komitees“ zwecks Kleinhacken des öffentlichen Aufwands angeregt hat, scheint Kultur als eine Ausgabe anzusehen, nicht als eine Bereicherung. Vertreter dieses Lagers stilisieren sich gern zu Tabubrechern, die im Kampf gegen Privilegierte, gegen „die Elite“ Mut und gesunden Menschenverstand bezeugen. Sie bemühen dabei den üblichen rhetorischen Mix aus darwinistischem Populismus und marktwirtschaftlichem Laissez-faire: „Das Volk“ solle sich aussuchen, was ihm gefällt, der Rest verdiene nicht zu überleben.


Die Folgen sind schon jetzt absehbar. Die Schwächsten gehen unter. Häuser, die sich (noch) über Wasser zu halten vermögen, müssen ihr Programmangebot verkleinern, ihre Eintrittspreise erhöhen und ihre Räumlichkeiten vermieten. Im sozialen, aber auch ökonomischen Netz (mit wegfallenden Hotel- und Restaurantbesuchen, Aufträgen an Dienstleister, Reisebuchungen…) klaffen zunehmend große Löcher. Die Rechtsextremen reiben sich die Hände.


Dabei boomt in Frankreich die Nachfrage: Das Publikum strömt zahlreicher denn je zu Kulturveranstaltungen.

 

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