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marczitzmann

Viel Meinung, wenig Ahnung

Aktualisiert: 4. Feb.

In Cyril Hanounas Sendungen diskutieren Krethi und Plethi über alles und jedes. Frankreichs meistsanktioniertem TV-Unterhalter ist vieles einen Lacher wert: Machismo, Homophobie, Erniedrigung vor laufenden Kameras. Nur wenn er selbst oder sein Boss ins Visier der Kritik geraten, versteht der „Pate“ keinen Spaß mehr.

 


Neunundzwanzig Abmahnungen und Sanktionen, 7,5 Millionen Euro Strafgeld in dreizehn Jahren. Cyril Hanouna, umstrittener Star von Frankreichs Fernsehkanal C8, ist der meistsanktionierte Moderator des Landes. Der 49-Jährige tritt auch als Interviewer, Debattierer, Produzent, Investor, Stand-Up-Comedian, Ankläger und Lobbyist in Erscheinung. Bewunderer preisen ihn als ein lebendes Antidepressivum, Kritiker sehen in ihm die Verkörperung der télé poubelle, des Fernsehschrotts – und ein Gift für die Demokratie.


Seinen dubiosen Ruhm verdankt Hanouna der 2010 (pikanterweise auf dem öffentlich-rechtlichen Kanal France 4) lancierten Show „Touche pas à mon poste !“. „TPMP“ wie die Unterhaltungssendung im akronymverliebten Frankreich genannt wird, wanderte bald in den Privatsektor ab und wechselte dort vom wöchentlichen auf den werktäglichen Ausstrahlungsrhythmus über. Ursprünglich beschränkte sich die Show auf den Mikrokosmos des Glotzkastens, dessen Programme und Protagonisten Hanouna und eine Bande aufgekratzter Kolumnisten wiehernd durch den Kakao zogen, zwischen zwei Spielen oder Streichen. Bemerkenswert waren in dieser Frühphase weniger die schwerelosen Inhalte als die (einseitig) persönlichen Bande, die der Moderator mit seiner Fangemeinde zu knüpfen verstand. „Baba“, so Hanounas Kosename, hätschelt seine „fanzouzes“ (eine putzige Wortschöpfung) mit Geschenken, Schmeicheleien („meine Schätzchen“, „meine kleinen Schönheiten“) und Twitter-Küsschen beim Aufstehen wie vor dem Zubettgehen. Eine Million Follower auf Instagram, deren sechs auf Twitter sowie (Stand 2022) 142 YouTube-Kanäle und 2282 Twitter-Konten, die seiner Person und/oder seinen Sendungen gewidmet sind, tragen „Babas“ gutes Wort – oder zumindest seine Bonmots – in alle (virtuelle) Welt hinaus.


Einen Scheidepunkt markierte laut Beobachtern Hanounas Vertragserneuerung im Herbst 2015. Der neue Besitzer von C8, Vincent Bolloré, ließ sich die tägliche Produktion von fünf Stunden Inhalten durch die Produktionsfirma H2O für eine Dauer von fünf Jahren 285 Millionen Euro kosten. Besagte Firma hatte Hanouna unmittelbar vor der Lancierung von TPMP gemeinsam mit Yannick Bolloré gegründet, einem Sohn des Multimilliardärs und Medientycoons. Laut Mitgliedern seiner damaligen Entourage „ist bei Hanouna Ende 2015 eine Sicherung durchgebrannt“. Größenwahn und das Gefühl, sich unter Bollorés Protektion alles leisten zu können, hätten bei dem in einer Pariser Arbeitervorstadt aufgewachsenen Sohn tunesischer Juden negative Charaktereigenschaften zutage gefördert.


Journalisten der Investigationssendung „Complément d’enquête“ von France 2 befragten unlängst zweiunddreißig direkte Mitarbeiter des Moderators. Fünfzehn von ihnen übten – anonym – harsche Kritik. Sie bescheinigten Hanouna einen bösartigen Hang zur Herabsetzung, eine Allergie gegen andere Meinungen als die seine (von Kritik ganz zu schweigen) und einen „guruhaften“ Griff auf sein Gefolge. Das Gefühl, das der Moderator vielen einflößt, ist Angst – Angst vor Demütigung, Angst vor Arbeitsentzug als Strafmittel, ja Angst vor „physischer Bedrohung“. Wegen seines gangsterhaften Gebarens wird Hanouna oft ein „Pate“ geheißen.


Seit 2016 ist es auch auf dem Set seiner Sendungen zu Übergriffen gekommen. Einem Kolumnisten, dem über Jahre hinweg die undankbare Rolle des Prügelknaben zukam, stopfte Hanouna so nicht nur Nudeln in die Unterhose, sondern machte ihn auch vor versteckter Kamera glauben, er sei zum Zeugen eines durch ihn selbst begangenen Totschlags geworden, für den er an seiner statt die Verantwortung übernehmen müsse. Einen weiteren Kolumnisten ermunterte Hanouna, eine Kollegin ohne deren Einverständnis auf die Brust zu küssen; einer Vierten nahm er selbst die Hand und drückte sie sich aufs Gemächt. Tiefpunkte in der langen Liste der Entgleisungen mit sexuellem Bezug sind ein die Vergewaltigung in der Ehe verharmlosender „Witz“ und ein telefonischer “Streich“, bei dem Hanouna mit süßlicher Stimme Aufgeber homosexueller Kontaktanzeigen anrief. Letzterer „Ulk“ zeitigte nicht nur eine Geldbuße von drei Millionen Euro, sondern auch einen zeitweiligen Boykott der Sendung durch rund zwanzig Werbekunden.


Nun könnte man all dies als schlimme Ausrutscher einer Show ansehen, die im Kampf um Quoten auf Machismo setzt, auf Homophobie und auf das, was treffend als „Schulhof-Bully-Reflexe“ beschrieben wurde. Doch TPMP eignet, je länger, desto mehr eine politische Dimension. Der „Hanounismus“ ist ein Populismus. Bereits die geölte Aufarbeitung der erwähnten Entgleisungen erinnert schlagend an Trump und Konsorten: Man sagt oder tut etwas Stoßendes, reitet sodann auf der Welle der Klicks und Kommentare – und wirft sich endlich in die Pose des Märtyrers der Meinungsfreiheit, dem moralinsaure Zensoren den Mund verbieten wollen. Im Fall des homophoben, die Persönlichkeitsrechte grob verletzenden Telefon-„Streichs“ beriefen sich Hanounas Parteigänger so auf das „Recht auf Karikatur“, ja auf „Charlie Hebdo“.


Noch grösser ist Hanounas Nähe zur MAGA-Bewegung da, wo er den Propagatoren wilder Verschwörungstheorien eine Bühne gibt. So warnten Gäste in seinen Sendungen vor pädophilen Seilschaften im Staatsapparat („Pizzagate“ lässt grüßen), empfahlen die Trumpsche Anticovid-Rosskur des „Marseiller Druiden“ Didier Raoult und verbreiteten den durch QAnon popularisierten Irrsinn vom Adrenochrom, das in geheimen Farmen aus den Körpern gefolterter Kinder gewonnen werde. Vollends politisch wird Hanouna, wenn er die vermeintliche Laxheit der Justiz geißelt und kaum verhohlen für die Wiedereinführung der Todesstrafe eintritt. Zur katholisch-fundamentalistischen und nationalistisch-identitären Revolution, genauer: Regression, in deren Dienst Bolloré sein Medienimperium gestellt hat, trug der Moderator das Seine bei mit dem braunen Teppich, den er 2022 für den rechtsextremen Präsidentschaftsanwärter Éric Zemmour ausrollte. Doch auch Vertreter des nicht minder radikalen Rassemblement national sind unter den Gästen wie unter den Kolumnisten von TPMP prominent vertreten.


In ihrem im Januar erschienenen Essay „Touche pas à mon peuple“ beschreibt die Forscherin Claire Sécail, wie Hanouna sich zum Sprachrohr des Volkes stilisiert, dabei aber die Fundamente der Demokratie unterhöhlt. Nicht genug, dass er Antiintellektualismus und Experten-Bashing bedient, in den asozialen Netzwerken aufgelesene Gerüchte als Fakten vorstellt, nichtrepräsentative Umfragen unter seinen (den politischen Extremen zuneigenden) Followern als Volksmeinung ausgibt und den Kolumnisten von TPMP – zum Teil wörtlich – im Voraus diktiert, was sie zu sagen haben, solcherart jede freie, wirklich demokratische Debatte verunmöglichend. Er attackierte, ja beschimpfte auch echte Volksvertreter, die wie die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo oder die frühere Kulturministerin Rima Abdul Malak an der Spitze des Kampfes gegen den Rechtsextremismus stehen. Den linken Abgeordneten Louis Boyard jagte er 2022 gar unter unerhörten Beschimpfungen („Niete“, „Idiot“, „Stück Scheiße“, „halt’s Maul“ „verpiss dich“) vom Set – dieser hatte es gewagt, Bolloré in dessen eigenem Sender kritisieren zu wollen. Eine Geldbuße von 3,5 Millionen Euro war die Folge, die höchste, die Frankreichs Medienaufsichtsbehörde je verhängt hat. Hanouna konnte das egal sein: Sein Vertrag wurde bis 2026 verlängert.

 


Verwendete Literatur:
Claire Sécail: Touche pas à mon peuple. Éditions du Seuil, Paris 2024. 84 S., Euro 5,90.
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