Extremer Rechtsrutsch
- marczitzmann
- 2. Nov.
- 5 Min. Lesezeit
Wie der Milliardär Vincent Bolloré den Fayard-Verlag für seinen reaktionären Zivilisationskampf einspannt
Am 5. Juni 2024 vereinte eine führende Verantwortliche der Hachette-Gruppe in Paris die Mitarbeiter des Fayard-Verlags. „Ich möchte euch sagen, dass wir einen neuen Präsidenten bekommen. Oder eher: eine neue Präsidentin“. Aus der Runde drangen Rufe wie „Oh nein“ oder „Fuck“; manche fingen an zu weinen. Das Undenkbare war Realität geworden: Die Verlagsheimat von Autoren wie Boris Vian und Georges Bataille, von François Furet und Robert Badinter, Nabokov und Solschenizyn erhielt als Leiterin eine Steigbügelhalterin der Rechtsextremen.
Die heute 58-jährige Lise Boëll hatte zuvor bei den Éditions Albin Michel unter anderen zwei glücklose Anwärter auf das höchste Staatsamt betreut: seit 1997 den stockkatholischen Souveränisten Philippe de Villiers, seit 2012 den vielfach wegen Anstiftung zum Hass (gegen Schwarze, Araber, Migranten, Muslime) verurteilten „Le Figaro“-Journalisten und späteren Parteigründer Éric Zemmour. Zwischen 2021 und 2024 tat sich die Verlegerin dann bei Plon nicht nur mit einer Fülle „anti-woker“ Neuheiten hervor, sondern auch mit ihrem toxischen Führungsstil. Ein Expertenkabinett für geistige Gesundheit am Arbeitsort monierte so 2023 „unangemessene Verhaltensweisen (Demütigungen/Infantilisierungen, Befehle und Gegenbefehle, Wechselbad heißer und kalter Posturen)“, die „Überladung der Mitarbeiter mit Aufgaben bei gleichzeitiger Desorganisation“ sowie „permanente Bespitzelung“, die ein Gefühl von Intrusion, eine Malaise hervorrufe.
Unter der Leitung von Claude Durand (1980 bis 2009), Olivier Nora (2009 bis 2013) und Sophie de Closets (2014 bis 2022) hatte sich der 1826 gegründete Fayard-Verlag in einer Vielzahl von Gebieten einen Namen gemacht, von in- und ausländischer Literatur bis zu vieldiskutierten Investigationen über Mitterrands frühe Jahre oder über die Schattenseite der Zeitung „Le Monde“. Kerndomäne waren indes die Geisteswissenschaften, wo einzig der Konkurrent Le Seuil noch heller strahlte. Boëll hat dieses Profil gründlich umgemodelt. Bald nach ihrer Ankunft veröffentlichte sie die Memoiren (sic) des seinerzeit 29-jährigen Präsidenten des rechtsextremen Rassemblement national und ein Plädoyer pro domo der früheren Frankreich-Chefin des Senders Russia Today, der nach Putins Einfall in die Ukraine europaweit verboten worden war.

Was der Verlag zurzeit auf seiner Website unter dem Reiter „erscheint in Kürze“ auflistet, umreißt das neue Profil schon fast karikaturartig. Es finden sich da die jüngsten Ergüsse von de Villiers („eine Ode an den Stammfranzosen“) und von Zemmour („Traum von einem geretteten Europa, das mit seinen jüdisch-christlichen Wurzeln wiederverbunden wäre“), ein Pamphlet gegen den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, eine x-te Brandrede wider „das besorgniserregende woke System, das hegemonial geworden ist“, sowie Publikationen, in denen Polizisten gegen Verbrecher wettern.
Ob die Rechnung aufgeht? Rein ökonomisch augenscheinlich nicht: Laut dem Investigationsblatt „L’Informé“ ist Fayards Umsatz letztes Jahr um 28 Prozent eingebrochen und hat das Haus mit einem Verlust von einer Million Euro erstmals seit fünfzehn Jahren rote Zahlen geschrieben. Dazu kommt der Weggang von Autoren – Philosophen, Ökonomen, Journalisten, Essayisten, Umweltschützer und Politologen, die politisch eher links zu verorten sind – sowie von Mitarbeitern. Aus dem Kreis von Letzteren hört man Schauergeschichten: Boëlls junge neue Rekruten hätten vom Verlagswesen keine Ahnung, kultivierten Ineffizienz und Amateurismus – die Idiokratie halte Einzug. In der Eingangshalle von Fayard präsentieren nunmehr Aufsteller das rechtsextreme Wochenblatt „JDNews“, in vielen Büros sind die Bücher Flachbildschirmen gewichen, auf denen der rechtsextreme Fernsehsender CNews flimmert.

Beide Medienorgane gehören dem Milliardär Vincent Bolloré, der Ende 2023 die Hachette-Gruppe unter seine Kontrolle gebracht hat. Diese zählt unter ihren gut vierzig französischen Verlagen Juwelen wie Calmann-Lévy, Grasset und Stock (Schwerpunkt: Literatur), Larousse (Wörterbücher), Dunod (berufliche und akademische Ausbildung), Albert René (die „Asterix“-Alben aus der Zeit nach dem Tod von René Goscinny 1977). Bolloré bringt Fayard mit denselben Methoden auf Linie, mit denen er zuvor den Radiosender Europe 1, den Fernsehkanal CNews und das Sonntagsblatt „Le Journal du dimanche“ gleichgeschaltet hatte. Er wendet die hierzulande sattsam bekannte „stratégie du putois“ an, die daran besteht, den betreffenden Mitarbeitern als Chef ein „Stinktier“ vor die Nase zu setzen, um all jene wegzuekeln, bei denen die neue olfaktorische Signatur des Hauses Übelkeit erzeugt. Tönt das etwas arg dramatisch? Nach der Ankündigung der Publikation von Bardellas „Memoiren“ schrieben Mitarbeiter, die daraufhin den Hut genommen hatten, in einem offenen Brief wortwörtlich, unter Boëll werde Fayards Erde braun.
Die Proteste häufen sich. Erben der Gründer von Calmann-Lévy plädierten im Namen der politischen Neutralität dafür, Fayard sowie Europe 1, „JDNews“ und das „Journal du dimanche“ aus der Louis Hachette Group herauszulösen, an der Bolloré knapp ein Drittel der Anteile hält, und der eigenen Industriegruppe des Milliardärs anzugliedern. Die Mehrheit der Mitarbeiter fühlten sich äußerst unwohl ob der „rechtsnationalen, prorussischen“ neuen Ausrichtung. Was die Personalvertreter der Gruppe im März 2024 in einem Brief an alle Mitarbeiter in unverblümte Worte fassten: „Die Angestellten von Hachette ertragen es nicht, mit der Bolloré-Gruppe in Verbindung gebracht zu werden – wo die Grundwerte von Hachette doch dem neuen propagierten Gedankengut diametral widersprechen.“ Am Folgetag doppelte eine Gewerkschaft der Verlagsbranche in einem Flugblatt nach: „Nein der ‚Bollorisierung‘ der Geister!“, Nein der „Brutalisierung der sozialen Beziehungen, der Erschwerung der Arbeitsbedingungen, der Zunahme des Turnovers“.
Doch auch seitens von unabhängigen Buchhändlern und Verlegern mehren sich die Appelle und Protestrufe (etwa hier oder hier). Einen guten Überblick bietet der 320-seitige Sammelband „Déborder Bolloré“, den 130 Klein(st)verlage unlängst veröffentlicht haben. „Hachette boykottieren, seine Produktionsstätten blockieren, seine Bücherverkäufe sabotieren (etwa mittels insgeheim platzierter Aufkleber oder Lesezeichen)?“, lauten einige der Fragen, die darin gestellt werden. Der Kasus ist kniffelig: Autoren sind auf die Gruppe angewiesen, auch wenn sie lieber anderswo veröffentlichen würden; eine engagiert feministische Buchhändlerin, in deren streng sortiertem Sortiment bloß 1 Prozent der Titel von „heterosexuellen Cisgender-Männern“ stammen, erzählt von ihrem Staunen und Schrecken, als sie entdeckte, dass sie trotz allem ein Sechstel ihres Umsatzes mit Hachette-Publikationen macht.

Denn die seit Beginn des 20. Jahrhunderts als „grüne Krake“ ebenso gehöhnte wie gefürchtete Gruppe bildet nicht nur eine immense Galaxie – in der Welt ist sie mit einem Umsatz von 7,7 Milliarden Euro die Nummer Sechs (oder gar die Nummer Drei, je nachdem, wie man zählt), in Frankreich mit Bruttoeinnahmen von 2 734 Millionen Euro (beide Zahlen für das Jahr 2024) fast viermal so groß wie der nächstkleinere Konkurrent. Hachettes Sterne und Planeten sind auch sehr divers. Grasset etwa verlegt die trashig-transgressiven Romane von Virginie Despentes und die queer-queren Essays von Despentes langjährigem Lebenspartner Paul B. Preciado. Selbst bei Fayard erschien 2024 eine Analyse der „rassischen Belastung“ („charge raciale“) durch die Afrofeministin Douce Dibondo und jüngst Paulette Chonés poetisch-inspirierte Betrachtung des malerischen Œuvres von Georges de La Tour (hier ein Blog-Beitrag zur jüngsten Pariser Retrospektive dieses Malers). Auch scheinen die übrigen Hachette-Häuser bis jetzt frei arbeiten zu dürfen.
Ist also alles bloß halb so schlimm? Es wäre sträflicher Leichtsinn, Entwarnung zu geben. Auch progressive oder gänzlich unpolitische Publikationen finanzieren Bollorés bigotten, rassistischen, antidemokratischen, homo- und transphoben „Zivilisationskampf“ mit. „Wehret den Anfängen!“, möchte man mit Blick auf Hachette rufen. Aber der Rechtsextremismus ist in Frankreich längst über die Ufer getreten, seine braunerdigen Fluten reißen schon so manchen Damm mit. Auch im Verlagswesen, wie der Fall des Hauses Fayard zeigt. Dort ist laut der Informationswebsite „Blast“ bereits das nächste Buch von Bardella in Vorbereitung – mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2027.



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