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Imperiale Sommerfrische

In Biarritz und Umgebung auf den Spuren von Kaiserin Eugénie


Kindergeschrei, blassblaue Röhrenwellen, im Sonnenlicht schier irreal durchsichtig. Vier Dreikäsehochs vollführen auf Surfbrettern sportliche Choreografien – breiten die Arme aus, beugen den Oberkörper nach vorn, gehen seitlich in die Knie. Nass wird dabei keiner: Die vier haben, in Alltagskleidung und einen Virtual-Reality-Helm auf dem Kopf, johlenden Spaß mit einer Attraktion der Cité de l’Océan. Der in einem abstrakt wellenförmigen Bau des Praemium-Imperiale-Preisträgers Steven Holl untergebrachte Themenpark markiert seit 2011 Biarritz‘ Anspruch, zu Frankreichs führenden Seeorten zu zählen. Der Hafen des 26 000-Seelen-Städtchens an der baskischen Küste ist zwar bloß eine Postkartenbild-Miniatur, doch dafür schlägt das Herz von Surfern in aller Welt für Spots wie Marbella, Miramar oder die Côte des Basques. An letzterem Strand wurde 1959 der erste Surfklub in Frankreich gegründet, der das Wellenreiten weitherum popularisierte. Heute zählt Biarritz achtzehn Surfschulen, aber auch Startup-Unternehmen wie Polyola und Wyve sowie Läden wie Lastage, die im Lande selbst aus recycelten oder pflanzlichen Werkstoffen hergestellte Surfbretter und -kleider entwerfen beziehungsweise vertreiben. Wellenreiter sind in der Stadt allgegenwärtig: Braungebrannt und oft barfüßig, verbreiten sie das ganze Jahr hindurch Ferienstimmung.


Vieles hat sich verändert, seit vor hundertsiebzig Jahren die Verwandlung des Fischer- und Ackerbauerndörfchens in ein Seebad mit internationaler Ausstrahlung begann. Und doch ist manches gleichgeblieben. Die Damen und Herren, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in die Fluten des Port-Vieux eintauchten, in dicke Wollkostüme gewandet, eine Mütze aus Wachstuch auf dem Kopf und meist unter der Obhut eines „Bade-Führers“, waren vom selben Geist beseelt wie die Surfer von heute. Es ging ihnen um Sport und Spaß, Naturnähe und Gesundheitsförderung. Eine der waghalsigsten unter ihnen war eine spritzige spanische Adlige, die schon als Kind manchen Sommer in Biarritz verbracht hatte und als junge Frau daselbst gleich zweimal schier ertrunken wäre – sie war keck über ein Sicherheitsseil hinausgeschwommen! Auch nach ihrer Verheiratung hielt ihre Begeisterung für Biarritz an, für „seine herzliche Bevölkerung, seine schmucken weißen Häuser, seine breiten Dünen, seinen feinen Sand, seine riesigen Grotten, sein majestätisches Meer“, wie der Dichter Victor Hugo nach einem Besuch 1843 schwärmte. So führte María Eugenia Ignacia Agustina de Palafox Portocarrero de Guzmán y Kirkpatrick ihren frisch angetrauten französischen Gemahl, Kaiser Napoleon III., bald einmal an ihren Lieblingsort auf Erden. Der Aufstieg von Biarritz zum mondänen Seebad kann auf jenen 20. Juli 1854 datiert werden.


Émile Defonds: Die Kaiserin in Biarritz, 1858 (Bild: © RMN – Grand Palais (Château de Compiègne) / Jean-Gilles Berizzi)

Keine zwei Wochen später beschloss das Kaiserpaar den Bau einer Residenz. In dieser würde es zwischen 1855 und 1868 zwölf Sommer lang je zwischen drei Tagen und siebeneinhalb Wochen verbringen. Könige und Kanzler, Prinzessinnen und Großfürstinnen strömten bald in Scharen herbei. Zumal Protokoll und Etikette in der Villa, die der Kaiser seiner Gattin schenkte, im Vergleich zum Tuilerien-Palast und den Schlössern von Compiègne, Fontainebleau und Saint-Cloud stark gelockert waren. Man spielte und scherzte, die Frau des k. u. k. Botschafters, von ihren Landsleuten wegen ihres losen Mundwerks in „Mauline von Petternich“ umgetauft, verbreitete Gift und Gossip. Binnen kurzem öffneten an den drei Hauptstränden des Städtchens Badeanstalten für alle Börsen, darunter die Bains Napoléon mit Dampf-, Medizinal- und beheizten-Meerwasserbädern. Auch die Kaiserin verfügte in ihrer Villa über eine Seewasserbadewanne – nicht von Ungefähr spielt heute der 2500 Quadratmeter große Spa impérial des aus dem kaiserlichen Anwesen hervorgegangenen Hôtel du Palais mit seiner auf die Fluten hinausblickenden Lounge d’Eugénie auf die Liebe der Kaiserin zum Meer an.


Alphonse de Neuville: Kaiserin Eugénie und ihr Hofstaat betrachten das Meer, um 1860. (Bild: Musée historique de Biarritz)

Auch sonst finden sich in dem imposanten Palasthotel mit rot-weißer Ziegelsteinfassade im Louis XIII-Stil, das aus der Vogelperspektive ein E wie „Eugénie“ bildet, zahlreiche Verweise auf die erste Besitzerin: Skulpturen und Gemälde, darunter eine untreue Kopie des offiziellen Porträts von Franz Xaver Winterhalter; eine Suite impériale Eugénie, deren feminine Farbtöne auf die glückliche Hand der Monarchin als Innenausstatterin anspielen; auf der Karte des Restaurants La Table d’Aurélien Largeau der „Ttoro de l’Impératrice“, eine Variation auf eine lokale Fischsuppe, die der Sternekoch mit Langustinen, Tomaten, Chorizo und Zitronenstrauch zubereitet. In der monumentalen Rotunde kann man vor einer (zu kleinen) Tasse des dickflüssigen, raffiniert gewürzten „Chocolat chaud de nos pâtissiers“ an den Schriftsteller und Denkmalschützer Prosper Mérimée denken. Eugénies väterlicher Freund, von ihr „Don Prospero“ tituliert, pflegte aus Zucker, Zimt und im benachbarten Bayonne eingekauftem Kakao einen Göttertrunk à l‘espagnole zuzubereiten. Die kaiserliche Villa, in der er diesen schlürfte, gibt es allerdings nicht mehr: 1903 fiel die Residenz, die die exilierte Ex-Kaiserin drei Jahrzehnte zuvor verkauft hatte, einem Großbrand zum Opfer. Auf den Fundamenten wurde ein Pasticcio errichtet, das ungleich mehr in die Höhe, Tiefe und Breite geht als der Originalbau.


Luftansicht der „wiedererbauten“ Villa Eugénie (Bild: Hôtel du Palais)
Die Suite impériale Eugénie (Bild: Hôtel du Palais)

Eher schon mag man Spuren der Kaiserin in umgebenden Orten finden. Zum Leidwesen mancher Hofdame zog es Eugénie aufs Land, ins Grüne. Ein Freund des Kaiserpaars, der Astronom, Geograf und Linguist Antoine d’Abbadie, führte die Monarchen in die baskische Kultur ein. Bei Hendaye ließ er sich ab 1864 durch den bedeutenden Architekten Eugène Viollet-Le-Duc ein neogotisches Schloss mit Sternwarte errichten. Der in dieser Region unerwartete Bau mit Harry-Potter-Bibliothek, schwindelerregender Spindeltreppe und steinernem Bestiarium kann besichtigt werden. Am Rande des Anwesens führt ein Pfad zur Maison de la Corniche, wo Besucher eine Einführung in die Geologie, Fauna und Flora der baskischen Küste erhalten. Die Anschauung zur Theorie liefert gleich vor Ort ein Wanderweg, der über die Pointe Sainte-Anne und den Strand von Hendaye zurück zu d’Abbadies Schloss führt – eine Promenade durch verwunschene Wälder mit Ausblicken auf pastellfarbene Felsenbuchten und Begegnungen mit Smaragdeidechsen am Wiesenrand.


1866 erkundeten die kaiserlichen Eheleute, ihr Söhnchen, der Getreue Mérimée und zwei Dutzend Begleiter die Grotten von Sare im Innenland. Mehr noch als deren Besuch lohnt jener des schmucken Dorfs, das die obligate baskische Trilogie aus Kirche mitsamt Friedhof, Gemeindehaus und Fronton (Prellwand für den Regionalsport Pelota) mit einem Charme ausspielt, den man in Arcangues, Biriatou und dem allzu touristischen Espelette misst.


Das Château-observatoire d‘Abbadia (Bild: zit.)
Blick vom sentier littoral beim Domaine d’Abbadia (Bild: zit.)

Unbedingt sehenswert ist auch das unweit gelegene Ainhoa. Nicht nur wegen der Gastro-Gastwirtschaft Ithurria und dem Blick auf den Gipfel La Rhune, den die Kaiserin 1859 bestiegen hatte – ein Obelisk erinnert an die „berühmt-berüchtigte Expedition“ (Mérimée), die einige Hofdamen nur dank improvisierten Bahren überlebten (heute führt ein Bähnchen bequem auf die Spitze). Sondern auch, weil hier eine der lohnendsten Wanderrouten im Baskenland zu finden ist: jene vom Col de Pinodieta zum Kalvarienberg von Ainhoa. Gewundene Wege entlang zartgrünen Farnteppichen, Panoramablicke auf hügelige Agrarlandschaften, barocke Wolken am blassblauen Äther, dazu die freudige Begrüßung durch baskische Bergpferde mit ihren Fohlen am Fuß der kalkweißen Kreuzigungsgruppe – bei unserer Wanderung stimmte einfach alles.


Baskische Bergpferde und hügelige Agrarlandschaften (Bild: zit)
Der Calvaire d’Ainhoa (Bild: zit.)

Wer allergisch ist gegen Landluft, bleibt indes besser in Biarritz. Nach dem Besuch des Musée historique, das mit Winterhalters großformatigen Porträts der Kaiserin und des Kaisers sowie einer ganzen Sektion voller imperialer Memorabilia glänzt, wartet noch ein letzter Leckerbissen. Jeden Mittwoch um 14 Uhr 30 kann auf Voranmeldung die Chapelle impériale besichtigt werden, das einzige so gut wie unversehrt erhaltene Zeugnis von Eugénies Bautätigkeit vor Ort. Die Kaiserin, erklärt der Führer Guillaume Foussadier, habe die Kapelle 1864 in einem römisch-byzantinischen Stil mit spanisch-maurischem Innendekor erbauen lassen. Azulejo-Keramikfliesen verweisen so auf Eugénies/Eugenias Geburtsstadt Granada, die Kassettendecke ist Andalusiens Mudejar-Architektur nachempfunden, an der Kuppeldecke schwebt in einer Goldmosaik-Wolke Unsere Liebe Frau von Guadelupe – eine Anspielung auf Mexiko, wo Frankreich zur Bauzeit der Kapelle eine gewagte Intervention führte, die bald in ein Fiasko münden würde.


Das Innere der Chapelle impériale (Bild: ?)

Die Frage, ob es noch einen „kaiserlichen“ Tourismus gebe, möchte Foussadier eher verneinen. Sicher ist sich der Führer hingegen, dass das heutige Biarritz ohne Frankreichs letzte Kaiserin schlicht nicht existieren würde. Lesestoff zum Thema bietet der gut sortierte Bookstore Biarritz bei der zentralen Markthalle. In dieser kann man sich nach Absolvieren des Besuchsprogramms mit Meeresfrüchten direkt von zwei Ständen stärken. Es sei denn, man wollte einen größeren Hunger stillen, etwa im beliebten Fischrestaurant Chez Albert am Port des Pêcheurs, im umwerfenden „Gastro-Laboratorium“ Sillon, unserem Favoriten – oder in einer gepflegten Brasserie mit Meerblick und -karte namens… Chez Eugénie!


Tempura von florentinischen Zwiebeln und Anchovis mit Meerfenchel, Algenpulver und baskischer „Pil-Pil“-Sauce im Restaurant Sillon (Bild: zit.)

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