Ehrgeiz ohne Grenzen
- marczitzmann
- 28. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Juni
Frankreichs Kulturministerin, Rachida Dati, macht wieder einmal Schlagzeilen – aus schlechten Gründen
Rachida Dati – sie betont es selbst gern und oft – ist die Tochter eines marokkanischen Maurers und einer algerischen Hausfrau, die 1963 nach Frankreich eingewandert sind. Aufgewachsen in einer Wohnsiedlung von Chalon-sur-Saône, nicht just ein Knotenpunkt von Dynamik und Kreativität, war sie die erste Französin mit Migrationshintergrund, die an die Spitze eines der fünf ministères régaliens gelangte, der zentralen Staatsministerien. Zwischen 2007 und 2009 amtierte sie unter der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy als Justizministerin. Ihre Mischung aus Autoritarismus und Amateurismus gegenüber dem eigenen Kabinett wie dem Justizapparat (mit den vorhersehbaren Folgen: Eklats, Rücktritte, Proteste wie noch nie) sowie die Schließung von 238 Gerichten landesweit sind unvergessen. Dati rangiert in Umfragen regelmäßig unter den zwanzig Lieblingspolitikern der Franzosen – Justizbeamte wohl nicht einbezogen. Versehen mit dem Temperament einer Dampfwalze, dem Gift einer Gila-Krustenechse, der Chuzpe einer Online-Wahrsagerin und dem Rückgrat eines Daunenkissens, zählt sie zu den schillerndsten Chimären in der Polit-Menagerie der Grande Nation.

Gleich ihrem Mentor Sarkozy strahlt Dati ein Bild von Tatkraft aus, das sich bei genauem Hinsehen als eine Fata Morgana entpuppt, geboren aus hochtourigem Auf-der-Stelle-Rotieren inmitten einer Wolke von Pailletten. Bekannt ist Frankreichs gegenwärtige Kulturministerin zuvörderst für ihre verbale Unverblümtheit. Gegner sprechen von einem zügellosen Mundwerk, sie selbst preist gern ihre „Authentizität“. In öffentlichen Auftritten huldigt die Politikerin der Kleinkunst der Punchlines, welche, kaum ausgestoßen, im feuchtheißen Klima der asozialen Medien Wirbelstürmchen erzeugen. Ein Abgeordneter veranstaltete einmal mit Freunden einen Wettbewerb der trashigsten Textnachrichten, für welche Dati berühmt-berüchtigt ist. „Hey Du Fascho“, „Jetzt lass ich die Hunde los auf Dich“ und „Du gehst mit mir um wie mit einer Nutte von Barbès“ (ein notorisches Pariser Viertel) fungierten unter den Anwärtern. „Die Leute haben Angst vor ihr“, befand Frankreichs vormaliger Präsident François Hollande. Ein Parteigenosse, der Dati im Justizministerium sekundiert hatte, nannte sie „eine Sniperin, die die Politik ‚trumpisiert‘“. „Sie haben mit Dati zusammengearbeitet?“, fragte diesen der frühere Premierminister Édouard Balladur, selbst mit der aristokratischen Gesetztheit eines überzüchteten Truthahns gesegnet. „Dann wissen Sie ja alles, was man nicht tun soll.“

Nur scheinbar paradoxerweise ist Dati am anderen Ende des politischen Spektrums beliebt. Ihr Auftreten weist manche Gemeinsamkeit mit jenem des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon auf: direkt, ungeschminkt, kämpferisch. Als Frau und Araberin, die sich im Macho-Milieu der Rechtskonservativen emporgearbeitet und über Jahrzehnte hinweg gehalten hat, vermag ihr Werdegang Sympathisanten der Frauen- und Fremdenemanzipation durchaus zu imponieren. Was sie selbst genüsslich herausstreicht: „Ich verkörpere das Versagen der Linken: Den gesellschaftlichen Aufstieg ohne soziale Hängematte noch kommunautaristische Seilschaften.“ Antirassisten bezweifeln allerdings, dass Dati ihrer Causa förderlich sei. Zum einen lasse der entsprechende Kampf sie kalt, zum andern nähre sie durch ihr streitsüchtiges Gebaren vor Kameras und Mikrofonen das Zerrbild von den Dauerquerulanten mit Migrationshintergrund. In der eigenen Partei, Les Républicains (LR), gegen die sie gern Breitseiten abfeuert, wird ihr oft jegliches Wertesystem abgesprochen. Sie arbeite völlig ideologiefrei, einzig für sich selbst – nicht für das Gemeinwohl.
Ihre Ernennung zur Kulturministerin im Januar 2024 lieferte dafür ein sprechendes Beispiel. LR war damals in der Opposition, aber Dati nahm um eines Ministersessels willen gern den Parteiausschluss in Kauf. Ja, sie trat bald darauf sogar an einer Wahlveranstaltung der Macronisten auf – über welche sie zuvor geätzt hatte, sie seien „Verräter der Linken und Verräter der Rechten“. Seitdem wurde LR in die Regierungsmehrheit eingebunden – und tauchte Dati bei einer Versammlung von LR-Abgeordneten auf, wo sie behauptete, wieder Parteimitglied zu sein…
Doch ist ihre Ernennung zur Ministerin auch ein Symptom des Niedergangs des Macronismus. Von der „vorbildlichen Republik“, die der Herr des Elysées einst zu propagieren gelobt hatte, ist man heute weit entfernt. Bei Datis Amtseinsetzung lief schon länger eine Justizuntersuchung gegen sie wegen Korruption und passiver Bestechung. Aber ein Ermittlungsverfahren sei noch keine Verurteilung, winkte Emmanuel Macron nonchalant ab. Sein damaliger Premierminister war expliziter: Man habe Dati gekauft wie eine Marke. Der „Deal“, den die Betroffene selbst in einer Videokonferenz ausplauderte, lautete wie folgt: Ihre Popularität, um Macrons moribundem Mandatsende frisches Leben einzuhauchen, gegen Unterstützung bei der Erfüllung ihres Lebenstraums: dem Einzug ins Pariser Rathaus. So wollen die Macronisten, obwohl sie ungleich kompetentere (wenngleich weniger populäre) Anwärter wie Clément Beaune oder Sylvain Maillard aufstellen könnten, 2026 auf eine Kandidatur in der Lichterstadt verzichten, um stattdessen Dati unter die Arme zu greifen. Dies jedenfalls der heutige Stand der Dinge – bis dahin kann sich noch vieles ändern.
Denn seit April ist die Beliebtheitsquote der Ministerin um 4 Prozent gesunken. Was womöglich auch mit den Polemiken und Affären zu tun hat, die ihr in jüngerer Zeit ungewünscht Schlagzeilen beschert haben. Am gravierendsten sind mutmaßliche Korruptionsfälle: Die langjährige EU-Abgeordnete soll gegen (viel) Geld ihr Wahlmandat in den Dienst der Interessen von Unternehmen wie GDF Suez, Orange, Renault-Nissan, der Londoner Investmentgesellschaft AlphaOne Partners, aber auch der aserbaidschanischen Diktatorenfamilie Alijew gestellt haben. Sollten die Vorwürfe sich bestätigen, hätte man es laut dem deutschen EU-Abgeordneten und Korruptionsbekämpfer Daniel Freund mit „einem der größten Skandale im EU-Parlament“ zu tun.

In der Sache Renault-Nissan hat die Finanzstaatsanwaltschaft nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens Ende letzten Jahrs die Eröffnung eines Strafprozesses gegen Dati gefordert. Am Donnerstag wies das Pariser Berufungsgericht ein letztes Verzögerungsmanöver der Angeschuldigten zurück, jetzt entscheiden die Untersuchungsrichter. Es geht um Bestechungsgelder in Gesamthöhe von 900 000 Euro. In der Causa GDF Suez hat die Investigationssendung „Complément d’enquête“ des staatlichen Fernsehkanals France 2 Anfang Juni Belege für zwei Zahlungen in Gesamthöhe von 299 000 Euro enthüllt. Pikant wird die Sache dadurch, dass Dati als Ministerin nicht nur für Kultur, sondern auch für Medien zuständig ist. Prompt forderte sie, so das investigative Satireblatt „Le Canard Enchaîné“, den „Skalp“ (sic) der Präsidentin von France Télévisions – die zu entheben sie freilich nicht befugt ist. Und auch zur anderen Präsidentin des öffentlich-rechtlichen Medienkomplexes, jener von Radio France, sind die notorisch frostigen Beziehungen noch eisiger geworden, nachdem Dati, am 18. Juni in einer Talkshow zu den jüngsten Korruptionsvorwürfen befragt, den Spieß gegen zwei ihrer Interviewer umdrehte: Der eine sei ein „Mobber“, die andere verbreite eine „grausige Stimmung“ – „ich könnte die Staatsanwaltschaft einschalten“. France Télévisions und Radio France haben sich in Communiqués klar hinter ihre Journalisten gestellt. Aber im Juli könnte Dati im Parlament ihr Vorhaben durchpeitschen, beide Häuser unter einer Muttergesellschaft zu vereinen. Journalistengewerkschaften befürchten eine Beschneidung ihrer Mittel wie ihrer Unabhängigkeit und haben „unbegrenzte Streiks“ angekündigt.

Die Einschüchterung und Bedrohung kritischer Medien(vertreter) ist Datis übliche Vorgehensweise: Im Angriff sieht sie die beste Verteidigung. Die Besitzer und Leiter von Sendern und Blättern, deren Redaktionen kritisch über sie recherchieren, deckt sie geläufig mit nicht zitierfähigen Beschimpfungen ein, versehen mit der Drohung, ihnen „an den Kragen“ zu gehen. Gegen „Le Canard enchaîné“, „Le Nouvel Obs“, „Libération“ strengte die Ministerin Justizverfahren an, gegen andere verbreitete sie Fake News: Rechercheure von „Complément d’enquête“ hätten Mitgliedern ihrer Familie Geld geboten für Aussagen; ein Investigationsjournalist von „Libération“ stehe der Pariser Bürgermeisterin nahe, Datis Erzrivalin; besagtes Blatt werde durch das hauptstädtische Rathaus finanziert. Derweil häufen sich die Anschuldigungen gegen sie. So schrieb „Libération“ jüngst, Dati habe der staatlichen Transparenzbehörde Schmuck im Wert von 420 000 Euro vorenthalten – worauf eine hohe Geld- und Gefängnisstrafe steht.
Findet die Ministerin überhaupt noch Zeit für ihren eigentlichen Job? Dieser erschöpft sich, man muss es fairerweise sagen, seit Jahrzehnten in Bestandswahrung – für große Sprünge, markante Initiativen fehlt schlicht das Geld. Aber Dati setzt auch hier auf Volksverführung der unraffinierten Art. „Kultur auf dem Lande“ lautet ihr Rattenfängermantra – und diesen Sommer gar: „Kultur auf dem Campingplatz“ (ein entsprechender „Plan“ wurde jüngst allen Ernstes lanciert). Dabei lügt die Populistin wie gedruckt: Das nächstjährige Kulturbudget sei gestiegen, trompetete sie im Mai urbi et orbi, wo es real gesunken ist, von 4641 auf 4638 Millionen Euro (eine nach Verabschiedung des Budgets erfolgte Kürzung um 114 Millionen Euro nicht einberechnet, von der Inflation sowie den mechanisch steigenden Ausgaben für Saläre ganz zu schweigen). „Rachida Dati, Anführerin eines Staats-Trumpismus in Frankreich“, titelte „Libération“ letzte Woche – und schloss mit dem Fazit: „Lügen, Vulgarität und Brutalität“.
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