Gift für die Demokratie
- marczitzmann
- vor 1 Tag
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Aktualisiert: vor 10 Stunden
Korruptionspakt mit Gaddafi: Sarkozy kommt wegen „krimineller Vereinigung“ ins Gefängnis
Es war der Korruptionsprozess aller Korruptionsprozesse. Nach französischen Maßstäben präzedenzlos, in der weiten Welt der Demokratien einzig vergleichbar mit einer Handvoll Gerichtsverfahren gegen Figuren wie Silvio Berlusconi, Park Geun-hye, Alejandro Toledo oder Jacob Zuma. Ein früherer Staatspräsident und drei ehemalige Minister fungierten unter den elf Angeklagten. Heute Mittag nun wurde der prominenteste von ihnen zu fünf Jahren Gefängnishaft (mit baldiger Einkerkerung) verurteilt: Der Pariser Strafgerichtshof befand Nicolas Sarkozy der kriminellen Vereinigung für schuldig. Der seinerzeitige französische Innenminister hatte laut Urteilsbegründung im Vorfeld der Wahlkampagne für die Präsidentenkür 2007 – in der er obsiegte – einen „Korruptionspakt“ mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi geschlossen: illegale Zuschüsse in Millionenhöhe für diverse Gegenleistungen nach dem erhofften Wahlsieg (hier ein Blogbeitrag zu der Staatsaffäre).

Darunter die Rehabilitierung des verfemten Regimes des Revolutionsführers, und namentlich die Aufhebung des internationalen Haftbefehls gegen Gaddafis Schwager und rechte Hand. Was für die selbsternannte Heimat der Menschenrechte besonders stoßend ist: Abdullah al-Senussi war in Paris 1999 für die Organisation eines Bombenanschlags auf ein französisches Passagierflugzeug, der zehn Jahre zuvor im Niger alle 170 Insassen das Leben gekostet hatte, in Abwesenheit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Frankreichs späterer Präsident und zwei seiner künftigen Minister paktierten also wissentlich mit Terroristen, die Franzosen ermordet hatten.
Mit dieser jüngsten Verurteilung ist Sarkozy einer von jenen, die er selbst als markiger Innenminister (zwischen 2002 und 2007), dann als populistischer Präsident (von 2007 bis zu seiner Abwahl 2012) unablässig gegeißelt hatte: ein Wiederholungstäter. In der sogenannten Bismuth-Affäre wurde er letztinstanzlich zu drei Jahren Gefängnishaft (davon zwei auf Bewährung) verurteilt, was sehr zu seinem Ärger den Austausch der Ehrenlegion durch eine elektronische Fußfessel nach sich zog: Der ehemalige Präsident hatte 2014 im Gegenzug für Informationen über den Stand ihn betreffender Untersuchungen einem befreundeten hohen Justizbeamten einen Posten unter der goldenen Sonne von Monaco versprochen. Im sogenannten Bygmalion-Skandal wurde Sarkozy in erster wie in zweiter Instanz zu einem Jahr Gefängnishaft verurteilt: Versessen auf die Bestätigung im Amt, hatten der Kandidat und seine Equipe bei der Präsidentenkür 2012 den gesetzlich erlaubten Höchstbetrag für die Finanzierung der Kampagne um mehr als 90 (!) Prozent überschritten – und zwecks Vertuschung gefälschte Rechnungen vorgelegt. Dieser Fall harrt noch des Entscheids des Kassationshofs: Sarkozy legt bei Verurteilungen stets Berufung ein.
Ferner drohen dem Wiederholungstäter, seiner singenden Gemahlin und acht Komparsen ein Gerichtsverfahren wegen des gekauften Widerrufs eines Schlüsselzeugen (und bis zu seinem Tod am Dienstag Mitangeklagten) im libyschen Prozess. Laut Ermittlern seien diesem 3 Millionen Dollar versprochen worden, damit er das ehemalige Staatsoberhaupt belastende Aussagen zurückziehe. Was er auch tat – doch derart fadenscheinig, dass der auszuräumende Verdacht sich erst recht bekräftigt sah. Endlich laufen Untersuchungen betreffend Sarkozys Rolle bei der Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar, als er Präsident war, bezüglich seiner Involvierung in einen zweiten Katar-Fall (der zu komplex ist, um hier resümiert zu werden) sowie in der Sache seiner Besoldung durch eine russische Versicherungsgesellschaft seit 2020, die zwei Putin nahestehenden Milliardären gehört.
Doch bildet der gestürzte Stern der Rechtspopulisten nicht nur wegen dem, was die Medien mit ihm verbündeter Magnaten wie Vincent Bolloré gern zu „ennuis judiciaires“, zu „gerichtlichem Ungemach“ verniedlichen, ein Gift für die Demokratie. Er unterminiert seit gut zwei Jahrzehnten die republikanischen Grundwerte. Im Justizbereich führte der Politiker Mindeststrafen für Wiederholungstäter ein, was dem Prinzip der Individualisierung der Strafmaße widerspricht, und suchte die Funktion des Untersuchungsrichters abzuschaffen. Die Mitglieder des Kassationshofs verglich er mit „aufgereihten Erbsen“ – „selbe Farbe, selbe Größe, selber Mangel an Geschmack“ –, betraute dieselben aber wenig später mit dem Finden von Mitteln und Wegen, ein ihm missliebiges Urteil des Verfassungsgerichts auszuhebeln.
In der Sicherheitspolitik baute Sarkozy Buhmänner auf wie den „gefährlichen Irren“ oder den „schlechten Immigranten“ (den er gegen den „guten Einwanderer“ ausspielte); nach jedem aufsehenerregenden Mordfall ließ er ein neues Gesetz verabschieden. Ordnungshüter hatten Quoten zu erfüllen, etwa was die Zahl der Polizeigewahrsame anging. Razzien auf illegale Einwanderer zeitigten schockierende Szenen, von auseinandergerissenen Familien bis zu Sprüngen aus dem Fenster oder in einen Fluss mit Todesfolge (das Ansinnen, bei Familienzusammenführungen die solcherart „biologisierten“ Betroffenen DNA-Tests zu unterziehen, scheiterte am Widerstand breiter Kreise).
Die Erziehungspolitik war vor allem eine Sparübung, innert fünf Jahren wurden rund 80 000 Posten gestrichen. Überhaupt erschöpfte sich die sogenannte Generalrevision der öffentlichen Politiken im Abbau des service public. Im Medienbereich rutschte Frankreich 2010, namentlich wegen der ständigen Einmischung der Regierenden und aufgrund von deren Verfilzung mit Moguln, auf Platz 44 des Pressefreiheits-Indexes von Reporter ohne Grenzen hinab, gleich nach Papua-Neuguinea und weit hinter Namibia, Ghana und Mali. Eine „große Debatte über nationale Identität“ entartete 2009 erwartungsgemäß zur Fremdenhetze; Sarkozy zählt – trotz gegenteiliger Beteuerungen – bis heute zu den großen Wegbereitern der Rechtsextremen.
Erst jüngst räumte er diesen einen Platz im „republikanischen Bogen“ ein und plädierte für eine Koalition zwischen „den Anhängern von Macron, Ciotti und Zemmour“, das heißt zwischen zunehmend konservativen Zentristen, Muslimhassern und Pétain-Verteidigern. Der Führerin des rechtsextremen Rassemblement national, Marine Le Pen, ist der Wiederholungstäter aufgrund von deren eigenem gerichtlichem Ungemach in Solidarität zugetan; bereits 2012 stellte er ihr den Persilschein der „Kompatibilität mit der Republik“ aus.
Einer der Slogans von Le Pens Partei lautet „saubere Hände, erhobener Kopf“. Sarkozys Bewegung, Les Républicains, tritt ihrerseits seit Juni unter dem Motto „Das Frankreich der ehrlichen Leute“ an, uneingedenk der gerichtlich verurteilten zwei Präsidenten und zwei Premierminister, die sie hervorgebracht hat. Gleich und Gleich gesellt sich gern – vielleicht bilden Ehrenmänner und Sauberfrauen ja bald eine Koalition. Eine Amnestie für korrupte, pardon: für durch rote Richter gemarterte Parteigranden, schreibt das investigative Satireblatt „Le Canard enchaîné“, stehe hüben wie drüben ganz oben auf der Prioritätenliste.
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