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„Ein beziehungsreiches, poetisches, musikalisches Idiom“

Das Angebot für Arabisch in Frankreichs Schulunterricht liegt unter jenem für Koreanisch – das müsse sich ändern, fordert Jack Lang.


Das Arabische sei eine Chance für Frankreich, schreibt Jack Lang. Unter den beiden Präsidentschaften von François Mitterrand hatte der Sozialist insgesamt fast neun Jahre lang als Kulturminister gedient – übertroffen wurde er an Langlebigkeit im Amt, nicht jedoch an Wirkungsmächtigkeit einzig durch de Gaulles Hohepriester der Schönen Künste, André Malraux. Der bald Sechsundachtzigjährige ist ein Urgestein: Erst im Juli war er am Festival d’Avignon zu sehen, wie er im Ehrenhof des Papstpalasts Küsschen nach rechts und vor allem nach links verteilte, später an einem Podiumsgespräch zum Thema „Eine arabische Sprache? Viele arabische Sprachen? Von den Ursprüngen bis zur Pluralität“ teilnahm. Das Arabische war heuer „Gastsprache“ des größten Theater- und Tanzfestivals der Welt; als Präsident des Pariser Institut du monde arabe seit 2013 besitzt Lang Legitimität, über das Thema mitzudiskutieren.


Jack Lang und seine Gattin, Monique, bei der Eröffnung des diesjährigen Festival d’Avignon (Bild: flickr)
Jack Lang und seine Gattin, Monique, bei der Eröffnung des diesjährigen Festival d’Avignon (Bild: flickr)

Ebenfalls im Juli legte der Politiker, der einst selbst das Theaterfestival von Nancy und später das Pariser Théâtre de Chaillot geleitet hatte, einen Essay vor mit dem Titel „La Langue arabe, une chance pour la France“. Diesen hat der Gallimard-Verlag in seiner Reihe „Tracts“ veröffentlicht, die eine Plattform bietet für Denkanstöße zu aktuellen Themen. Das Flugblatt (so die deutsche Übersetzung von „Tract“) ist nicht von Ungefähr dem Intendanten der provenzalischen Festspiele gewidmet, dessen seit 2022 laufendes Mandat jüngst bis 2030 verlängert wurde. Gleich Jack Lang fördert Tiago Rodrigues mit einer Vielzahl von Initiativen das befruchtende Miteinander der Kulturen.



Die Illustrationen von Langs Flugblatt stammen von der in Paris lebenden libanesischen Comicautorin Zeina Abirached. (Bild: Éditions Gallimard)
Die Illustrationen von Langs Flugblatt stammen von der in Paris lebenden libanesischen Comicautorin Zeina Abirached. (Bild: Éditions Gallimard)

Die Stoßrichtung des Essays: Frankreich müsse das Arabischangebot in der Schule ausbauen. 4 von gut 68 Millionen Landesbewohnern sprechen diese Sprache, aber der entsprechende Unterricht wird lediglich 11 000 von 5,3 Millionen Schülern angeboten. Das ist weniger als für Chinesisch oder Koreanisch – Idiome, die den Franzosen gesellschaftlich, geografisch wie geschichtlich ungleich ferner stehen. Dabei zählt Arabisch zu den ersten Sprachen, die offiziell im Lande gelehrt wurden. So dekretierte François Ier, dass im heutigen Collège de France neben Griechisch, Hebräisch und Lateinisch auch die Sprache des Korans und von „1001 Nacht“ unterrichtet werde. Ab 1538 bekleidete Guillaume Postel einen Lehrstuhl für orientalische Sprachen; noch im selben Jahr veröffentlichte der Orientreisende eine „Grammatica arabica“.


Lang erinnert an die Bedeutung des Arabischen als Sprache der exakten Wissenschaften, aber auch der Dichtkunst – es sei „ein beziehungsreiches, poetisches, musikalisches Idiom“. Frankreichspezifisch verweist der Autor auf die (je nach Quelle) 400 bis 800 Lehnwörter, die hiesige Lexika und Linguisten aufführen, auf Jean de La Fontaines Inspiration durch die arabische Fassung der persischen Fabelsammlung „Kalila und Dimna“, auf den Orientalismus des 18. und 19. Jahrhunderts, auf den Reichtum des franko-arabischen Literatur- und Comicschaffens von Assia Djebar bis Riad Sattouf, auf die aus der Banlieue-Kultur geborene landesspezifische Spielart des „arabischen Humors“ von Komikern wie Jamel Debbouze, Fellag oder Smaïn.


In den großen Zügen ist das meiste davon bekannt. Doch in Zeiten, wo die Rechtsextremen auf dem Vormarsch sind und – gerade in Frankreich – unablässig gegen alles „Arabische“ hetzen, wirkt ein solches Plädoyer keineswegs überflüssig. Lang widerlegt so etliche Falschvorstellungen, die jene verbreiten. Arabisch ist nicht die „Sprache der Mohammedaner“: Nur einer der acht Staaten mit der weltweit größten Zahl an Muslimen ist arabischsprachig, nämlich Ägypten; die vier mit Abstand bevölkerungsreichsten islamischen Länder liegen in Süd- und Südostasien. Dafür sprechen in den Mitgliedstaaten der Arabischen Liga auch nichtmuslimische Bürger Arabisch. Ferner ist dieses nicht mit der islamischen Religion und Kultur gleichzusetzen: Das Idiom existierte schon lang vor Mohammeds Berufung zum Propheten (von seiner frühen Verfeinerung zeugt unter vielem mehr die „Muʿallaqāt“-Gedichtsammlung aus dem 6. Jahrhundert) und wird seit vielen Jahrzehnten auch von Ungläubigen gebraucht, von Ismail Adham, Autor von „Warum ich ein Atheist bin“ (1937), bis zu heutigen Aktivisten und Bloggern im Maghreb und am Golf.


Auch sei es nicht so, führt Lang weiter aus, dass das Erlernen des Arabischen zulasten des Französischen ginge. Vielmehr stimuliere Mehrsprachigkeit laut Neurologen das Hirn des Lernenden und verfeinere das Spiel von Vergleich und Unterscheidung die Ausdrucksfähigkeit. Falsch sei endlich, dass keine Nachfrage bestehe: Das Institut du monde arabe (IMA), das in Paris und Tourcoing jährlich 2000 Lernwillige unterrichtet und einen dem TOEFL vergleichbaren standardisierten Sprachtest entwickelt hat, muss wegen Auslastung ständig Kandidaten abweisen. Mangels Möglichkeiten in öffentlichen Schulen lernen geschätzt zwischen 65 000 und 300 000 Kinder und Erwachsene Arabisch in Privatvereinen – wo weder die Qualität des Unterrichts noch dessen Konformität mit laizistisch-demokratischen Grundsätzen kontrolliert werden kann. Niemand bestreitet – und am wenigsten Jack Lang –, dass Fundamentalisten Arabischunterricht gern instrumentalisieren.


So sei der Ausbau des staatlichen Angebots nicht zuletzt das beste Mittel, den Verdacht des Vektors der Islamisierung, wo nicht gar des „Idioms der Terroristen“ (so der rechtsextreme Publizist und Politiker Éric Zemmour in einer Fernsehdebatte mit Lang 2020), aus der Welt zu räumen. Das IMA, das im Bereich der Kulturvermittlung das tut, was der Staat in jenem des Sprachunterrichts tun sollte, zeigt geläufig Ausstellungen über Orientchristen, Sephardim oder queere Künstler. Arabisch und Toleranz gehen in diesem Hause Hand in Hand.


Still von Langs Fernsehdebatte mit Éric Zemmour am 25. Februar 2020 (das Video ist hier zu sehen)
Still von Langs Fernsehdebatte mit Éric Zemmour am 25. Februar 2020 (das Video ist hier zu sehen)


Jack Lang: La Langue arabe, une chance pour la France. Éditions Gallimard, Paris 2025. 48 S., Euro 4,90.

 


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