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Wo Raum und Roben zum Kleinod verwoben

Ein architektonisches Juwel als Schrein für stupende Trachten: die Victoria Karelias Sammlung traditioneller griechischer Kostüme in Kalamata


Dieser Blog ist auf Frankreich fokussiert. Ausnahmen bestätigen die Regel: Bei einer Rundreise durch die Peloponnes bin ich Anfang September auf ein Museum gestoßen, das ganz anders war als die teils mittel-, teils gesichtslosen Häuser, die ich dort sonst besuchen konnte. Elegant, sophisticated, zugleich minimalistisch und luxuriös – zumindest im Geiste also sehr französisch.


Detail von einem Übermantel aus goldgewobenem Seidenstoff, wie sie in der ottomanischen Zeit Großbürger trugen

Kalamata, im Südwesten der Peleponnes. Das 55 000-Seelen-Städtchen ist weltweit bekannt für seine großen, schwarzvioletten Oliven. Doch im Herzen der proper-provinziellen Altstadt lockt noch eine andere Attraktion: die Victoria Karelias Sammlung traditioneller griechischer Kostüme. Auf dem Papier lässt der Name eine Institution erwarten, die mit wenig Mitteln einer folkloristischen Marotte frönt. Doch nichts könnte ferner von diesem betulich-verstaubten Bild sein als das neoklassizistische Stadthaus, an dessen Rundbogenportal man auf den Klingelknopf drückt. Eine Empfangsdame, mehr gastfreundliche Hausherrin als gelangweilte Kassiererin, führt einen in den Eingangskorridor und lässt dort vor dem Ticketkauf eine kleine Porträtgalerie bewundern. Die elegante Geste rückt nicht nur die bevorstehende kommerzielle Transaktion auf Distanz, sondern auch die Welt, aus der man soeben hereinspaziert ist. Denn was die sechzehn Schwarzweißzeichnungen des Malers, Bühnen- und Kostümdesigners Yannis Metzikof hier porträtieren, sind weniger junge Frauen als die Trachten, die diese tragen – und durch sie die Moden ferner Inseln und verflossener Zeiten.


Zeichnung eines Kostüms von der Insel Chios durch Yannis Metzikof

Der Empfangssaal mit dem Ticketschalter zeitigt dann einen doppelten Wow-Effekt. Zum einen stellt er goldbestickte Übermäntel und andere gelbmetallen glänzende Kleidungsstücke aus, deren Pracht einem die Kinnlade herunterklappen macht – ein atemraubender Auftakt. Clou ist ein Braukleid aus Kappadozien, dessen Oberteil und Jacke, beide aus goldgewobener Seide, mit goldenen Tressen und Spitzen sowie bernsteinfarbenem Hermelinfell besetzt sind. Zum andern potenzieren Innenarchitektur und Szenografie hier die Ausstrahlung der Exponate. Der Saal ist, wie das ganze Museum, völlig abgedunkelt; Spots, gleich Theaterscheinwerfern eingesetzt, verwandeln die Kostüme vor dem Hintergrund mattschwarzer Böden und Wände in Figuren eines stummen Dramas. Thanassis Kyratsous, mit dem Umbau des denkmalgeschützten Stadthauses aus dem 19. Jahrhundert betraut, hat die gediegen-großbürgerliche Fassade restauriert, im Innern aber ein zeitgenössisches Juwel kreiert: Durchblicke von einem Geschoss zum andern; Gänge, Treppen, Aufzüge und Toiletten, die mit reichlich deliziösen Details aufwarten; und eine Behandlung des Raums, die diesen laut Aussage des Architekten zu einem „lebenden, integralen Bestandteil der Ausstellung“ werden lässt. Das Museum atmet das teure Raffinement eines Juweliergeschäfts und die noble Gelassenheit eines Boutiquehotels.


Ansicht des obersten Geschosses

Im Einklang mit diesem Fokus auf Formschönheit ist der inhaltliche Hauptansatz des Hauses ein ästhetischer. Knapp neunzig Outfits, angereichert mit Accessoires wie Schmuck, Schuhen und Waffen, dürfen ganz für sich stehen, auf weißen, gesichtslosen Mannequins oder auf Ständern, die sich drehen beziehungsweise im zentralen Atrium sogar über zwei Geschosse hinweg auf- und abschweben. Kein Text, keine Nummer, kein Schildchen stört ihre Betrachtung. Jeder Sechser- oder Achter-Gruppe ist diskret ein kleiner Touchscreen zur Seite gestellt, auf der die jeweiligen Kostüme abgelichtet sind. Klickt man auf eine der Fotos, erscheint ein Text mit Informationen zur Geschichte und Machart des betreffenden Ensembles. Ein Glossar mit 89 Einträgen von A wie „Alatzàs“ (ein gestreifter oder karierter Baumwollstoff aus Messenien) bis Z wie „Zòstra“ (ein violetter Wollgürtel aus Korinth) geht in eine Tiefe, die das Fassungsvermögen des gewöhnlichen Besuchers übersteigt. Merken kann man sich immerhin die gängigsten Typen: Chemise, Übermantel, Faltenrock sowie ärmelloser, vorne offener Oberteil aus Wolle.


Brautkleid mit "segoùni" von der Insel Euböa
Festkleid von der Insel Thasos mit einem goldbestickten Jäckchen und einem "fustàni" genannten Kleid, dessen Muster nordgriechischen Bauernkostümen entlehnt sind
Festkleid aus Pogoni nahe der Grenze zu Albanien; die kühnen Farbkombinationen bestechen.

Letzterem, segoùni genannt, gilt der Hauptsaal des Erdgeschosses. Die hier ausgestellten siebzehn Frauen- und vier Männerkostüme illustrieren die Vielfalt dieser in ländlichen Gegenden des Festlands getragenen Oberteile: Das eine ist monochrom und nur mit einem andersfarbigen Saum versehen, das andere über und über mit geometrischen Motiven in Paradiesvogelfarben bestickt – von den zahllosen Kombinationen mit Chemisen und Schürzen, Röcken und Jäckchen, Gürteln und Schleiern, Kopftüchern und Schals ganz zu schweigen. Im zweiten Geschoss treten Kostüme halbnomadischer Bevölkerungsgruppen in Dialog mit solchen von Kaufleuten und Handwerkern. Die Originalität und Kühnheit der Farb- und Materialkombinationen hier lassen die Kreationen manch eines Couturiers blass aussehen. Der letzte Stock endlich führt westliche Einflüsse auf den Inseln und in den Küstenregionen des jungen hellenischen Staats vor Augen. Die aus Deutschland beziehungsweise aus Russland herstammenden Königinnen Amalia und Olga schufen ab den 1830er Jahren eine hybride Hofmode, die Biedermeier-Krinoline respektive Romanow-Schleppenkleid mit Elementen traditioneller griechischer Kostüme kombiniert. Ironie der Geschichte: Diese Retorten-Kreationen muten heute folkloristischer an als die Trachten, die sie inspiriert haben.


Königin Olga schuf dieses Kostüm, dessen Weste und Kopfbedeckung attische Einflüsse aufweisen, während das Schleppenkleid vom russischen Hof herstammt.



Ein üppig bebilderter Katalog spiegelt getreu den Museumsinhalt wider und ist – doppelsprachig – auf Griechisch und Englisch verfasst. Er kostet 70 Euro.

Alle Bilder: zit.
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