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marczitzmann

Sieg oder stirb!

Kulturkrampf im Kino: Wie ein filmisches Machwerk den Vendée-Krieg zu ideologischen Zwecken instrumentalisiert – und wer hinter der reaktionären Propaganda steckt


„Vaincre ou mourir“ macht dieser Tage in Frankreich von sich reden. Nicht wegen seiner künstlerischen Güte: Der seit Ende Januar von gut 300 000 Zuschauern gesehene Spielfilm von Paul Mignot und Vincent Mottez über den Vendée-Krieg (1793-96) ist ein schwerverdaulicher Mix aus seekranken Schlachtszenen, hölzern-heroischen Dialogen und Laientheaterdarbietungen mit Hollywood-Soundtrack. Von Interesse ist vielmehr, wer den Historienschinken produziert hat – und aus welchen Gründen.


Die Produktionsgesellschaft Puy du Fou Films, dessen erste Hervorbringung „Vaincre ou mourir“ bildet, ist eine 2021 gegründete Filiale von le Puy du Fou, Frankreichs viertgrößtem Themenpark. Ins Leben gerufen wurde dieser 1977 im Herzen des Departements Vendée an der Atlantikküste durch Philippe de Villiers. Der heute 73-jährige Politiker hat Ämter auf der regionalen, nationalen und EU-Ebene bekleidet und zweimal für das höchste Staatsamt kandidiert. Als Gründer des (2018 aufgelösten) Mouvement pour la France vertritt de Villiers europa- und migrationsfeindliche, katholisch-konservative Positionen. Bei den letztjährigen Präsidentschaftswahlen unterstützte er den Rechtsextremen Eric Zemmour.


Unter der Leitung von de Villiers’ jüngstem Sohn, Nicolas, hat sich le Puy du Fou in den letzten Jahren gewaltig vergrößert und diversifiziert: Hotels, Restaurants und sogar ein Kongresszentrum vor Ort, aber auch ein für spanische Verhältnisse adaptiertes Pendant in Toledo – und demnächst sogar ein Luxuszug, dessen viertausend Kilometer lange „Grand Tour“ durch ein urtraditionelles Frankreich Stationen abhakt wie das Grab von Dom Pérignon, dem mythischen Erfinder des Champagners, den Papstpalast von Avignon, die Kathedrale von Reims und das Schloss von Chenonceau. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Umsatz der Gruppe auf stolze 125 Millionen Euro versiebenfacht!


Kern des Puy du Fou sind indes zum einen nachgebaute Dörfer aus dem Mittelalter, dem 18. und 19. Jahrhundert, in denen kostümierte Statisten die entsprechenden Bewohner spielen. Und zum andern die seit fünfundvierzig Jahren veranstalteten (Freiluft-)Spektakel, die, teils unter Mitwirkung von tausenden von Freiwilligen, Geschichten von Gladiatoren, Wikingern und Musketieren erzählen, vom Hundertjährigen Krieg – oder eben von der Guerre de Vendée.


„Vaincre et mourir“ bildet so das Kino-Derivat einer Schau aus dem Jahr 2016, deren Held eine historische Figur ist: François Athanase Charette de La Contrie (1763-1796). Der Marineoffizier war der letzte Anführer der aufständischen Vendéens, die aus Protest gegen die religiösen, wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen der Revolutionsregierungen ab 1791, vor allem jedoch gegen die Massenaushebung von Anfang 1793 die Waffen gegen die Nationalgarden ergriffen. Das Vokabular dieser „Weißen“ ist im Film klar konnotiert: Ehre, Treue, Schwur, Opfer, Blutzoll, Ehrenwort, reines Herz, gerechte Sache – man könnte so seitenlang fortfahren. Ihnen gegenüber steht eine bis auf zwei, drei Ausnahmen undifferenzierte Masse von „Blauen“, deren Hauptzüge Heimtücke und Blutrünstigkeit sind.


Spätestens hier wird deutlich: „Vaincre ou mourir“ ist weniger ein Spielfilm als ein kulturelles Mittel zum politischen Zweck. Der Streifen zeigt – wie die Spektakel des Puy du Fou – den Überlebenskampf einer durch den christlichen Glauben geleiteten traditionellen Gemeinschaft, die sich unter der Führung eines mit Herz und Schneid gesegneten Edelmanns gegen die Angriffe der gesichtslosen Agenten einer barbarischen Moderne zur Wehr setzt. Wer sich hier an die Tiraden des Antirepublikaners de Villiers erinnert fühlt, die wider die EU und die „transozeanischen“ Eliten Europas und der USA ein ewiges Frankreich mit einem ethnisch homogenen Volk, einem römisch-katholischen Glauben und einem absoluten Machthaber mobilisieren, liegt genau richtig.


Der Souveränist befand denn auch offen, als er 2017 auf eine dritte Präsidentschaftskandidatur verzichtete, dass neurechte „Metapolitik“ heute einen größeren Einfluss habe als Politik vom alten Schlag. „Mit meinen Büchern und meinem Puy du Fou konnte ich viel mehr Ideen verbreiten denn als x-tes Fischlein im Politiker-Teich“, frohlockte de Villiers. Dass „Vaincre ou mourir“ durch die Canal+-Gruppe mitproduziert und -verliehen wurde, ist kein Zufall: Diese gehört zum Medienimperium des Milliardärs Vincent Bolloré und wird durch diesen eingespannt, um reaktionär-traditionalistisches Gedankengut zu propagieren (namentlich einen „identitären“ Katholizismus). Der andere Mit-Verleiher des Films macht seinerseits kein Hehl daraus, Kino als ein Mittel zur Bekehrung anzusehen – nach dem Vorbild der USA, „wo ‘family and faith based’ Filme einen Aufschwung sondergleichen erleben“, wie auf der Website von Saje Distribution zu lesen steht.


„2004 lächelten wir naiv, als Mel Gibson seinen Spielfilm ‘Die Passion Christi’ vorstellte“, mahnten jüngst zwei linke Abgeordnete in „Le Monde“. Heute verbiete man in den USA die Lehre wissenschaftlicher Inhalte, säubere Schulbibliotheken, stelle Abtreibung unter Strafe. Warum pariere Frankreichs öffentlich-rechtliches Fernsehen der audiovisuellen Gegenrevolution nicht mit gut dokumentierten, niveauvollen Sendungen, solang es noch Zeit sei, eine kulturelle Hegemonie der Rechtspopulisten und -extremen abzuwehren?, drängen die beiden Volksvertreter. „Wäre nicht auch ein ‘linker’ Puy du Fou denkbar?“, doppelte ein Sozialist in „Libération“ nach. Hehres Wunschdenken, gewiss. Während de Villiers‘ Themenpark mit schlichten (Halb-)Wahrheiten jährlich zwei Millionen Besucher anlockt, hat eine um historische Dialektik bemühte Institution wie das Pariser Musée de l’histoire de l’immigration Mühe, ihr Publikum zu finden.


Dabei wurde bereits belegt, dass das vom Puy du Fou propagierte Geschichtsbild so fragwürdig ist wie die Authentizität des „Rings der Jungfrau von Orléans“, der dort gleich einer Reliquie ausgestellt wird. So haben eine Altertumswissenschaftlerin, ein Mediävist, ein Frühneuzeitler und eine Historikerin für Jüngere Geschichte den Themenpark letztes Jahr während eines dreitägigen Besuchs unter die Lupe genommen – und ihm im Anschluss die zweihundertseitige Studie „Le Puy du Faux“ gewidmet. Ein Wortspiel: „Puy du Fou“ heißt „Quell des Irren“, „Puy du Faux“ „Brunn des Falschen“. Der Themenpark schreibe einen „Nationalroman“ fort, den im 19. Jahrhundert antimoderne, dem Ancien Régime nachhängende Autoren verfasst haben, so das Fazit der Geschichtswissenschaftler. Der Diskurs des Puy du Fou sei antiuniversalistisch, antirepublikanisch, antiegalitaristisch und fremdenfeindlich. Überdies verhehle er die gegen die sogenannten unteren Klassen und gegen das sogenannte schwache Geschlecht gerichteten Unterdrückungsmechanismen.


„Vaincre ou mourir“ exemplifiziert diesen Befund: Das niedere Volk spielt darin eine fast durchweg passive Rolle – es betet oder kämpft unter der Führung einer „höheren“ Autoritätsfigur –; Frauen treten wahlweise in einer von drei Funktionen auf: als Mutter, Gattin oder Geliebte. Der letzte Satz des Films, den der Off-Erzähler, der zum Freiheitskämpfer verklärte Charette, quasi aus dem Jenseits heraus an uns Nachgeborene richtet, lässt keinen Zweifel an der heutigen Stoßrichtung der Botschaft: „Unsere Geschichte beginnt womöglich hier“. Der kaum subliminale Aufruf von „Vaincre ou mourir“: „Es ist an Dir, Zuschauerin, Zuschauer, Charettes Kampf (gegen die Republik, den Säkularismus, das Ideal einer klassenlosen Gesellschaft…) fortzuführen. Oder aber Deine Identität zu verlieren und zugrunde zu gehen.“ Sieg oder stirb!


Doch nicht nur die Geschichte, auch die Geschichtswissenschaft instrumentalisiert der Film. Drei Vertreter der Zunft kommen im Vorspann kurz zu Wort. Interessant ist weniger, was sie sagen, als dass sie durch ihre schiere Anwesenheit dem Streifen einen wissenschaftlichen Firnis geben, seiner fiktionalen Natur einen dokumentarischen Anstrich verleihen. Bezeichnenderweise ist einer der drei Interviewten Reynald Secher, der seit langem der These eines génocide vendéen das Wort redet – eine These, die de Villiers ebenfalls propagiert, die fast sämtliche Historiker aber zurückweisen.


Unter ihnen der angesehenste Kenner der Periode, Jean-Clément Martin. Seine Arbeiten entwerfen geradezu die Antithese von „Vaincre ou mourir“. Spitzt der Film einen manichäischen Zweikampf zwischen „Weißen“ und „Blauen“ zu, so zeigt der Geschichtswissenschaftler, dass die Vendéens keineswegs geeint waren – und die Republikaner sogar untereinander verfeindet! Erst die Rivalitäten zwischen Girondins, Montagnards und Sans-Culottes zeitigten den fatalen Funkenschlag, durch den aus einem Feuerchen unter vielen ein Großbrand mit geschätzt 200 000 Opfern wurde (Anfang 1793 erhoben sich Bewohner nicht nur der Atlantikküste, sondern auch des Elsass’, des Nordens, der Vogesen, des Zentralmassivs gegen die schwach abgesicherte Nationalkonvention – doch nur in der Vendée eskalierte der Aufstand zum Bürgerkrieg). Und ist „Vaincre ou mourir“ ganz auf die Figur von Charette zugeschnitten, so wurde der Marineoffizier laut Martin erst im Dezember 1793 durch den Wegfall der übrigen Anführer zum Chef der Vendéens. Kurz: die Realität war komplexer und ungleich weniger klar in Gut und Böse geschieden als die Fiktion es glauben machen will. Auch die Aufständischen ließen sich Blutbäder zuschulden kommen, wenngleich nicht im selben Ausmaß wie die oft auf eigene Faust alles niedermetzelnden Generäle, Offiziere und Soldaten der Republik.


Pikanterweise war Martin ursprünglich als vierter Historiker für „Vaincre ou mourir“ interviewt worden. Doch als ihm klar wurde, dass statt der angekündigten Dokufiktion ein Spielfilm mit einem knappen Historiker-Vorspann im Entstehen war, zog er seine Zusage zurück. In Martins Blog auf „Mediapart“ wirft ihm jetzt ein Kommentator vor, seine Äußerungen zu „Vaincre ou mourir“ seien gewunden. Der Kritiker ist Schullehrer in einem Städtchen südlich des Puy du Fou. Er leide seit Jahren unter der villiéristischen Desinformation, schreibt er an Martin. „Denn wie Sie wissen, ist diese Propaganda in der Vendée allgegenwärtig wegen dem Departementalrat [dem de Villiers zweiundzwanzig Jahre lang vorgestanden hat]; unser Geschichtserbe wird in der Art des Puy du Fou präsentiert, als ein buntes Spektakel mit historischen Kommentaren, die im Dienste politischer Ansichten stehen. Wer als Vendéen dieser Indoktrinierung entgehen will, kann nicht auf die öffentliche Hand zählen, auf Museen oder Denkmäler, und sollte auch örtlichen Verlegern von Geschichtsbüchern misstrauen. Er muss seine eigenen Wegweiser finden, die ihm einen wissenschaftlichen Blick auf die Lokalgeschichte bieten können.“


Für den Schullehrer war Martin ein solcher Wegweiser. Umso mehr erbittert ihn das Schweigen des Spezialisten zu einem Film, den dieser nicht gesehen haben will (was in der Tat merkwürdig anmutet). Ob Martin tatsächlich mit den Propagandisten des Puy du Fou einen Pakt geschlossen, ob er sich kaufen lassen hat und „zum Komplizen eines Unternehmens der Desinformation geworden“ ist, möchte man als Außenstehender offen lassen. Fest steht, dass der Fall die Aporie des Historikers im Zeitalter der politischen Instrumentalisierung von Geschichte veranschaulicht: mit allen Seiten reden (Martin gewährt auch rechtsextremen Medien Interviews) – und als Kollaborateur gebrandmarkt werden, wie hier. Oder nur mit Vertretern des eigenen Lagers dialogieren – und von der Gegenseite prompt als Sektierer abgestempelt werden.

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