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Glanz über Substanz

Aktualisiert: 15. Jan.

Turbulenzen sind zu erwarten: Rachida Dati ist Frankreichs neue Kulturministerin


Rachida Datis Ernennung zur Kulturministerin ist die große Überraschung von Frankreichs jüngster Regierungsumbildung. Fachkompetenz dürfte schwerlich das Kriterium für ihre Wahl gewesen sein. In kulturellen Belangen unbeleckt, ist Nicolas Sarkozys ehemalige Justizministerin seit 2008 Bürgermeisterin des großbürgerlichen siebten Pariser Arrondissements. Bei ihrem Versuch, das zentrale Rathaus zu erobern, unterlag sie 2020 ihrer Nemesis, der langjährigen sozialistischen Amtsinhaberin Anne Hidalgo, um gut vierzehn Prozent. Doch übertrumpfte Dati ihrerseits die Kandidatin des Präsidentenlagers um einen noch größeren Stimmenanteil.


Womit ein zweiter Punkt benannt wäre: Auch einer allfälligen Treue zu Emmanuel Macron verdankt die neue Kulturministerin ihre Ernennung nicht. Seit 2006 gehört Dati der neogaullistischen Partei an, die heute den Namen „Les Républicains“ trägt – und die seit Sarkozys Abwahl 2012 ihr zunehmend flaues Profil zu schärfen sucht, indem sie sich in die Positur der Oppositionspartei wirft. „Gehörte“, muss man sagen, wurde die „Überläuferin“ doch schon am Donnerstagabend aus einer Bewegung ausgeschlossen, aus der seit langem Klagen über ihre Heuchelei und ihre Prinzipienlosigkeit dringen.


„Verräter von links und Verräter von rechts“, schimpfte Dati 2021 die Mitglieder der Präsidentenpartei. Und schloss noch Mitte 2022 nach Macrons Wiederwahl die Übernahme eines Regierungsamtes kategorisch aus. Nun hat sie eine Wende um hundertachtzig Grad vollzogen. Was Dati damit gewinnt, weiß man: einen Sitz im Ministerrat. Und auch, was Macron mit diesem „Fang“ bezweckt: Die Beschleunigung der Auflösung von Les Républicains, einer einst staatstragenden Bewegung, die seit 2017 zwischen der Präsidentenpartei und dem rechtsextremen Rassemblement national zermahlen wird. Was Frankreich, und spezifisch Frankreichs Kulturwelt, sich von Datis Ernennung erhoffen soll, steht hingegen in den Sternen.


Glanz über Substanz: Rima Abdul-Malak (links) musste gehen, weil sie aus ihrer Ablehnung des Rechtsextremismus’ kein Hehl machte und jüngst dem sexueller Übergriffe beschuldigten ehemaligen Schauspieler Gérard Depardieu die Ehrenlegion aberkennen wollte. Rachida Dati durfte kommen, weil Macron mit ihrem „Fang“ die Neogaullisten weiter zu spalten hofft – und weil Sarkozys ehemalige Justizministerin den Franzosen aus Klatschmagazinen, schrillen Talkshows und den asozialen Netzwerken her bekannt ist. (Bild: flickr)

Ein Blick zurück auf ihr erstes Ministermandat zeigt, dass die aus bescheidensten Verhältnissen aufgestiegene Immigrantentochter ihren mit schneidender Rhetorik gepaarten Autoritarismus skrupellos in den Dienst der Umsetzung extremer Programme stellt. So suchte sie zwischen 2007 und 2009 Sarkozys Justizpopulismus zu implementieren: die Einführung automatischer Mindeststrafen für Wiederholungstäter etwa, oder die Schaffung von „Sicherheitsverwahrungszentren“ für „gefährliche“ Kriminelle nach Ablauf ihrer Haftstrafe. Kollateralschäden waren dabei das Fiasko der „Affaire de Tarnac“ (imaginäre „anarcho-autonome Terroristen“ saßen monatelang in Untersuchungshaft), der präzedenzlose Anstieg der Selbstmordrate in den Gefängnissen (wo alle drei Tage ein Freitod oder ein verdächtiger Todesfall zu verzeichnen war) und ein Schulterschluss der beiden verfeindeten Justizgewerkschaften, um schwere Angriffe auf die Unabhängigkeit der Judikative zu geißeln.


Doch auf die Justiz scheint Macron neuerdings zu pfeifen – sonst hätte er, entgegen einem Gelöbnis von 2017, nicht eine schillernde Figur wie Rachida Dati in den Ministerrang erhoben, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption im Gang ist.

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