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Vom Bon Marché zum KaDeWe

marczitzmann
170 Jahre Warenhäuser – eine Ausstellung in der Pariser Cité de l’architecture

 


Das deutsche Wort „Warenhaus“ legt den Akzent auf die weiträumigen und breitgefächerten Lager, über welche Etablissements dieser Art verfügen. Demgegenüber streicht der englische Begriff „department store“ die Gliederung in Abteilungen heraus, derweil die französische Benennung „grand magasin“ die Monumentalität der betreffenden Gebäude betont. Die nicht unbeträchtlichen semantischen Unterschiede zwischen den drei Sprachen weisen auf die Schwierigkeit einer Definition hin. Ein Warenhaus ist weder ein Supermarkt noch ein Fachgeschäft, ein Kettenladen, ein Einkaufszentrum, ein Sonderpostenmarkt oder ein elektronischer Marktplatz. Aber was ist es, positiv gesehen?


Kreation „Coupole“ von agnès b., der Kuppel des Pariser Stammhauses der Galeries Lafayette nachempfunden (2013) (Bild: zit.)

Eine große Ausstellung in der Pariser Cité de l’architecture et du patrimoine nimmt das Phänomen „grand magasin“ seit seiner Entstehung vor rund 170 Jahren unter die Lupe, und das auf allen Kontinenten. Die Schau sucht nicht, eine erschöpfende Geschichte zu schreiben; sie beleuchtet vielmehr hervorstechende Merkmale und wirft en passant Streiflichter auf weniger bekannte Aspekte. Dass Frankreich dabei als das Pionierland in Sachen Warenhaus erscheint, liegt weniger an allfälligem Nationalstolz als an Sigfried Giedion. Der große Schweizer Architekturhistoriker hatte 1928 in seinem enormer Nachwirkung bestimmten Buch „Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton“ drei Pariser Warenhäuser in seinen Pantheon der Moderne aufgenommen: den Printemps, die Samaritaine und vor allem den Bon Marché – „die erste konsequente Verwirklichung eines Warenhauses in Glas und Eisen“.


Lithografie des Palacio de Hierro in Mexiko-Stadt bei der Eröffnung 1911 (Bild: Historical Archives of El Palacio de Hierro)

Gleich dem Bon Marché bezogen etliche Pariser „grands magasins“ ab den 1870er Jahren monumentale Neubauten – und prägten so die französische Begriffsdefinition. Die Vorgeschichte liegt demgegenüber in diffusem Halbdunkel: Nach der Auflösung der Zünfte des Ancien Régime im Revolutionsjahr 1791 entstanden neue Formen des Handels – Novitätengeschäfte, Ladenpassagen, „Großbasare“ –, deren Synthese die Warenhäuser zogen. Als Urahn aller „grands magasins“ gilt der 1852 gegründete Bon Marché; die durch Giedion gefeierten Erweiterungsbauten des Stammhauses, die Louis-Charles Boileau zwischen 1872 und 1887 vornahm, fixierten die architektonischen Grundmerkmale des Gebäudetyps: Fassaden mit großflächigen Fenstern; im Innern weiträumige Plateaus, getragen durch Pfeiler und Säulen; als Clou eine Riesenhalle mit Monumentaltreppe unter einem oft kuppelförmigen Glasdach. Die Schau punktet hier nicht nur mit prächtigen Zeichnungen und Lithografien des Printemps, der Samaritaine und exotischerer Warenhäuser in Kairo und Sofia, Buenos Aires und Mexiko-Stadt, sondern auch mit originalen Architekturelementen wie goldblumenförmigen schmiedeeisernen Treppenbrüstungen, Fayencekacheln mit den Konterfeis kaufwütiger Kundinnen sowie einer floralen Flügeltür des Jugendstil-Glasermeisters Jacques Gruber.


Ansicht der Schau: links eine Treppenbrüstung des Bon Marché (um 1923), in der Mitte eine Flügeltür von Jacques Gruber für den Magasin Vaxelaire in Nancy (1901), ganz rechts eine Säule von Louis-Charles Boileau für den Bon Marché (um 1887) (Bild: zit)

Die Jahrzehnte zwischen 1850 und 1930, die das erste der drei Kapitel beleuchtet, waren jene der Expansion und Innovation. Nicht nur wuchsen die „grands magasins“ ins Riesenhafte und kolonisierten die ganze Welt (mit Ausnahme Asiens). Sie erfanden oder popularisierten auch Geschäftsmodelle (kleine Erträge in großer Zahl; rasche Warenrotation), Verkaufsweisen (angeschlagene Fixpreise; Kauf auf Kredit), Abrechnungsmethoden (die Registrierkasse), Dispositive der Präsentation (Ladentische als „Verkaufsinseln“ auf freien Flächen; Schaufensterpuppen), Vektoren der Werbung (Verkaufskataloge; saisonale Sonderangebote), einen Modus des Personalmanagements (den man als „despotischen Paternalismus“ beschreiben könnte).


Der Katalog, der den chronologischen Parcours durch thematische Kapitel ergänzt, weiß über das goldene Zeitalter der Warenhäuser indes auch weniger Glanzvolles zu berichten. So wurde das Phänomen der Kleptomanie ab den 1880er Jahren vornehmlich an monomanischen Warenhausdiebinnen festgemacht. In einer Studie mit dem Titel „Les Voleuses de grands magasins“ befand der Irrenarzt (sic) Paul Dubuisson 1902, die Art, wie diese Etablissements die Versuchung inszenierten, könne „auch Satan nicht übertreffen“. Ein anderes Kapitel des hochinformativen Bands räumt mit Mythen über die Arbeitsplatzsicherheit und über die gute Entlohnung der Angestellten auf. Mehr als die Hälfte von ihnen behielten ihre Stelle keine zwei Monate lang, die mittlere Anstellungsdauer betrug magere anderthalb Jahre. Und die Gehälter waren so niedrig wie die niedrigsten in der Industrie.


Kaufwütige Kundinnen: Fayencekachel „Les Grands Magasins“, entworfen durch Eugène-Martial Simas für die Manufacture de Sarreguemines, um 1895 (Bild: Musées de Sarreguemines)

Die Jahrzehnte zwischen 1930 und 1980 waren eine Zeit des Identitätsverlusts. Die Periode begann mit der Weltwirtschaftskrise, gefolgt von den „Arisierungen“ in Hitlerdeutschland (etwa der Ketten Karstadt und Tietz) und in den von Nazitruppen ab 1939 besetzten Staaten. Nach dem Krieg wendeten viele Warenhäuser im Bestreben, Platz zu gewinnen und so die Rentabilität zu maximieren, ihr architektonisches Profil ins Negative: „Bunkerisierung“ durch Zumauern der Fassadenfenster, Zerstörung der äußeren Proportionen durch Aufstockung, Ersetzung der Monumentaltreppen durch Rolltreppen, „Zustopfen“ der großen Hallen unter den Glasdächern. Der Bon Marché sollte 1973 gar abgerissen werden!


Zusätzlich verwässert wurden Profile durch die Eröffnung von Filialen an der Peripherie und in Ladenzentren, wo sie mit Hypermärkten und/oder anderen Ketten rivalisierten, sowie durch die Gründung von Billigablegern wie Kaufhalle durch Kaufhof oder Prisunic („Einheitspreis“) durch den Printemps. Doch bereits ab den 1960er Jahren begannen erste Innovationen dem künftigen Fokus auf Upselling den Weg zu bereiten – etwa die Akzentsetzung auf moderne Lebensart, auf Jugendkultur und auf Serviceleistungen. In letzterer Sparte versprach die köstliche Affiche „S.O.S. homme seul 1964“ des Bon Marché, alleinstehenden Männern all das abzunehmen, was ihre seinerzeitigen Befähigungen klar überstieg. Namentlich: Wäsche bügeln, Knöpfe annähen, Kinder und/oder Goldfische hüten!


Surrealistische Vitrine, entworfen 1936 durch Salvador Dalí für das New Yorker Luxuswarenhaus Bonwit Teller (Bild: Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí, VEGAP, Figueres, 2019. Worsinger Photo / Museum of the City of New York, 37.67.8 / ADAGP, Paris, 2024)

Seit 1980 steigt die Güte der Warenhäuser in einem Maß, dass viele von ihnen der ursprünglichen Zielgruppe – die untere Mittelklasse – den Rücken zuzukehren scheinen. Wie einst mit Breuer, Dudok, Horta, Mendelsohn, Van der Rohe, Sullivan werden wieder große Namen mit Neu- oder Umbauten betraut: Foster, Fuksas, Libeskind, Moneo, Nouvel, Piano, die Büros BIG, Future Systems, OMA, SANAA, unter anderen. Zugleich besinnen sich historische „grands magasins“ auf ihr Bauerbe zurück, auf Treppen, Kuppeln, Marquisen, Fassaden- und Wanddekors, die – wie im Fall der Samaritaine – in jahrzehntelanger Detailarbeit restauriert beziehungsweise restituiert werden. Manche Elemente inspirieren gar zeitgenössische Neuinterpretationen, wovon etwa Andrée Putmans doppelte Rolltreppen im Bon Marché zeugen oder die in die Haupthalle hineinkragenden Riesenvitrinen von BIG für die Galeries Lafayette Champs-Élysées.


Für Selfridges Birmingham entwarf Future Systems 2003 eine Schuppenhaut aus Aluminium. (Bild: Future Systems / Photo Soren Aagaard)

Auch von dem stereotypen, in der Werbung bis zum Überdruss vervielfachten Bild der idealen Kundin (weiß, jung, dünn, schön und reich) rücken Warenhäuser seit der Jahrtausendwende ab – wenngleich, wie die Schau zu Recht bemerkt, in einem bloß „oberflächlichen Bemühen um Inklusivität“. Doch weist der Katalog auch den Hang von Beobachtern zurück, jedwede Initiative von Warenhäusern als ein Zeichen von Schwäche auszulegen und regelmäßig das Ende eines angeblich überkommenen Geschäftsmodells zu prophezeien. 2023 verzeichneten Breuninger in Deutschland, El Corte Inglés in Spanien, El Palacio de Hierro in Mexiko, die Galeries Lafayette in Frankreich, Harrods im Vereinigten Königreich, Magasin du Nord in Dänemark und SKP in China Rekordeinnahmen. 172 Jahre nach seiner Gründung erfreut sich der Bon Marché bester Gesundheit – viele seiner Sprösslinge weltweit eifern ihm nach.


Die große Halle mitsamt Kuppel, die Ferdinand Chanut 1912 für die Pariser Galeries Lafayette entwarf (Bild: Archives Galeries Lafayette / DR)

 


Die Ausstellung „La Saga des grands magasins“ läuft bis zum 6. April 2025 in der Pariser Cité de l‘architecture et du patrimoine.

Katalog: „La Saga des grands magasins“ (Hrg: Elvira Férault und Isabelle Marquette). Cité de l’architecture et du patrimoine / GrandPalaisRmn, Paris 2024. 290 S., Euro 45.-.
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