Zur Pantheonisierung von Mélinée und Missak Manouchian
Mit der feierlichen Zeremonie unter der Leitung von Emmanuel Macron, bei der am 21. Februar die sterblichen Überreste von Mélinée und Missak Manouchian in den Pariser Panthéon überführt wurden, hat die fremdstämmige Résistance Einzug in diesen laizistischen Tempel gehalten, der Frankreichs grands hommes ehrt – und, seit 1995, auch eine Handvoll Frauen. Geschätzt zwanzig Prozent der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen das Vichy-Régime und die nazideutsche Besatzungsmacht besaßen keinen französischen Pass, eine Proportion, die weit über dem damaligen Ausländeranteil der Bevölkerung lag. Die Résistance hatte – auch – Wurzeln in Francos Spanien, Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland sowie im pogromgebeutelten Osten Europas. Sie sprach, unter vielem mehr, Rumänisch, Ungarisch und Jiddisch.
Oder Armenisch, wie im Fall von Missak Manouchian (1906-1944). Der Vollwaise hatte Mitte der 1920er Jahre nach Marseille übergeschifft, gleich über 60 000 Überlebenden des jungtürkischen Völkermords an den Armeniern – das durch den Ersten Weltkrieg ausgeblutete Frankreich brauchte junge Arme für seine Fabriken. Sein Leben dort glich dem vieler Gastarbeiter: Häufige Orts- und Stellenwechsel, Solidarität unter Landsleuten, Beitritt zur kommunistischen Partei. Und leidenschaftliche Aufnahme der Kultur des Gastlandes: Manouchian besuchte den Louvre, die Cinémathèque française, als Gasthörer die Sorbonne, insbesondere jedoch die Bibliothèque Sainte-Geneviève (am Fuß des Panthéon!), wo er Plato und Wilde verschlang, Puschkin und Romain Rolland, vor allem jedoch Frankreichs romantische und symbolistische Dichter. Die 56 Poeme, die er zwischen 1924 und 1935 auf Armenisch verfasste, hat Stéphane Cermakian jüngst auf Französisch übertragen, unter einem Titel, der das Lebensprogramm ihres Autors gleichsam auf dem Punkt bringt: „Ivre d’un grand rêve de liberté“ – „Trunken von einem großen Traum nach Freiheit“. Sie zeugen vom Einfluss Baudelaires, schon in Überschriften wie „Ennui“, „Élévation“ („Erhebung“) oder „Langueur“ (das man auch mit „Spleen“ übersetzen könnte). Ab 1933 machen sich dann auch klassenkämpferische Phrasen und Themen bemerkbar – so in Gedichten über demonstrierende Arbeitslose oder ausgebeutete Näherinnen.
Nach Frankreichs Kapitulation im Juni 1940 und dem Einfall der Wehrmacht in die Sowjetunion exakt ein Jahr später traten Missak Manouchian und seine Gattin Mélinée (1913-1989), ebenfalls eine Überlebende des armenischen Genozids mit internationalistischen Überzeugungen und starker Verbundenheit zu Frankreich, der Résistance bei. Eine Ausstellung im Pariser Mémorial de la Shoah zeigt zurzeit, dass sich der „innere“ Widerstand (im Gegensatz zu dem durch de Gaulle verkörperten „äußeren“) 1942 und vor allem 1943 in der Hauptstadt fast ausschließlich durch Aktionen der sogenannten Francs-tireurs et partisans – main-d'œuvre immigrée (FTP-MOI) manifestierte. Wie der Bandwurmname besagt, waren diese Freischärler und Partisanen hauptsächlich eingewanderte Arbeiter. Bis zu ihrer Quasi-Vernichtung Ende 1943 führten die FTP-MOI in und um Paris 229 Aktionen aus, vom Waffendiebstahl über Zugentgleisungen und Bombenattentate bis zur gezielten Tötung von Kollaborateuren und NS-Kadern – der Prominenteste unter Letzteren war der SS-Standartenführer Julius Ritter, Organisator der Zwangsarbeit von Franzosen in Deutschland. Eine hundertköpfige Spezialbrigade der Pariser Polizeipräfektur verfolgte die fünf Dutzend mehrheitlich blutjungen und unerfahrenen Widerstandskämpfer ebenso geduldig wie gnadenlos. In drei Razzien wurden sie bis November 1943 verhaftet, gefoltert und an die Deutschen überstellt. Ein Schauprozess drei Monate später mündete in die Hinrichtung von dreiundzwanzig von ihnen. Einer der Füsilierten war Manouchian, seit August 1943 militärischer Leiter der FTP-MOI.
Die Art und Weise, wie der „eingewanderten Freischärler“ gedacht wurde, folgte eng den Zeitläuften. Nach Kriegsende sehr präsent, verschwanden sie mit dem Aufflammen des Antisemitismus in Stalins letzten Lebensjahren wie mit der Verfolgung von Heimkehrern (etwa dem tschechischen Mitgründer der MOI, Artur London, im Prager Slánský-Prozess 1952) vom Horizont der sowjetischen Welt. Der Konservative de Gaulle, 1958 an die Macht zurückgekehrt, hatte seinerseits kein Interesse daran, Résistants zu feiern, die zugleich Kommunisten und Ausländer waren. Vielmehr suchte der ehemalige Führer des Freien Frankreichs bis zu seinem Rücktritt 1969, die Geschlossenheit der Nation im Kampf gegen die Nazis herauszustreichen. Das berühmte Chanson „L’Affiche rouge“ von Léo Ferré endlich verwies 1959 zwar sowohl auf Missaks Abschiedsbrief an Mélinée als auch auf das berühmt-berüchtigte rote Plakat, mit dem im Februar 1944 zehn der dreiundzwanzig zum Tode verurteilten Mitglieder der FTP-MOI verunglimpft werden sollten. Doch verschweigt der Text aus der Feder von Louis Aragon, dass der seinerzeitige Hauptvorwurf die Zugehörigkeit zur jüdischen „Rasse“ war.
So waren es Filme und Bücher, die peu à peu die Erinnerung an die FTP-MOI wachriefen: 1976 eine (arg) theatralische Dokufiktion von Frank Cassenti mit Ariane Mnouchkines Truppe, 2009 ein ob seiner bewussten Geschichtsuntreue kritisierter Spielfilm von Robert Guédiguian. Bereits 1989 war die der MOI gewidmete Monografie „Le Sang de l’étranger“ erschienen, die unter anderem das Gerücht widerlegte, die kommunistische Parteileitung habe einst die fremdstämmigen Widerstandskämpfer geopfert, ja verraten. Mitterrand beging nicht nur den vierzigsten Jahrestag der Hinrichtungen von 1944, sondern hielt auch dem in den 1980er Jahren erstarkenden fremdenfeindlichen Front (heute: Rassemblement) national den Beitrag von Ausländern an der Résistance entgegen.
Im Juni 2023 kündigte Macron die „Pantheonisierung“ der Manouchians an. Missak, strich das Élysée heraus, habe Frankreich gleich doppelt gewählt: „zum einen durch seinen Willen als junger Armenier, der Baudelaire und Victor Hugo liebte, zum andern durch sein für unser Land vergossenes Blut“. Die Ehrung ist verdient – nur klammert sie die zweiundzwanzig Mitverurteilten des Schauprozesses vom Februar 1944 aus, wie auch all jene Mitglieder der FTP-MOI, die davor oder danach den Tod fanden. „Einen einzigen Namen herausheben heißt, die Brüderlichkeit des kämpferischen Kollektivs brechen“, monierten in „Le Monde“ Nachfahren besagter zweiundzwanzig sowie Mitunterzeichner wie Beate und Serge Klarsfeld, Patrick Modiano und Costa-Gavras.
Unter ihnen auch Annette Wieviorka. In dem soeben erschienenen Bändchen „Anatomie de l’Affiche rouge“ bekundet die Historikerin ihr „Unwohlsein vor einer Geschichtserzählung, die Fakten verdreht, ja sogar unter den Tisch kehrt, um stattdessen eine Legende zu konstruieren“. Manouchian war – drei Monate lang – der militärische Chef der FTP-MOI, aber es gab vor und nach (und über) ihm noch andere. Angesichts dessen frappiert, dass nicht nur die (oftmals oberflächliche) Medienberichterstattung in Frankreich völlig auf Missak und Mélinée fokussiert, sondern dass auch zwei gehaltvolle Neuerscheinungen das Konterfei und die Namen der Eheleute auf ihr Titelblatt setzen – wo es im Inneren doch auch und maßgeblich um die Gruppe als Ganzes geht: Die (erste) Doppelbiografie von Gérard Streiff und ein Bildband mit gutrecherchierten Kapiteltexten von Astrig Atamian, Claire Mouradian und Denis Peschanski. Augenscheinlich braucht die Würdigung des Fremdenverbands ein Gesicht – beziehungsweise deren zwei. Auf die Gefahr hin, dass, wie Wieviorka ätzt, „aus der Gruppe ein Pärchen wird, und ein eher glamouröses“.
Endlich fragte in „Le Monde“ der Senator Pierre Ouzoulias, Kommunist und Enkel eines Chefs des Dachverbands der FTP-MOI, mit Bezug auf die politische Aktualität, ob es möglich sei, „die Aktionen dieser Ausländer zu feiern, die im Namen ihrer hohen Vorstellung von unseren republikanischen Grundsätzen für Frankreich gestorben sind – und im gleichen Zug gemäß den Wünschen der Erben des Vichy-Regimes [gemeint ist der rechtsextreme Rassemblement national] Gesetze zu verfassen, die faktisch die nationale Präferenz bei der Gewährung bestimmter Sozialleistungen einführen“. Ist die hier gezogene Verbindung zwischen dem Kampf der Manouchians und dem unlängst auf Macrons Betreiben hin verabschiedeten Immigrationsgesetz ein Kurzschluss? Missak grollte 1933 in seinem Gedicht „Fremdsein“: „Sie schlagen von überall her zu und schleudern mir ins Gesicht, / Wie eine Ohrfeige voller Bitternis, das Wort ‚Ausländer‘“. Mélinée ihrerseits schlug nach Kriegsende eine laut ihrem Biografen „epische“ Schlacht für die Einbürgerung von Einwanderern, die sich um Frankreich verdient gemacht hatten. Beide kämpften nicht nur gegen Nazis.
Eine heutige Fassung von Léo Ferrés Chanson "L'Affiche rouge" durch die Gruppe Feu! Chatterton. Diese trat auch bei der Pantheonisierung von Mélinée und Missak Manouchian auf.
Verwendete Literatur:
Missak Manouchian: Ivre d’un grand rêve de liberté. Points Poésie, Paris 2024. 214 S., Euro 13,90.
Astrig Atamian, Claire Mouradian und Denis Peschanski: Manouchian. Textuel, Paris 2023. 192 S., Euro 39.-.
Gérard Streiff: Missak et Mélinée Manouchian. L’Archipel, Paris 2024. 240 S., Euro 21.-.
Annette Wieviorka: Anatomie de l'Affiche rouge. Seuil Libelle, Paris 2024. 60 S., Euro 4,90.
Benoît Rayski: L’Affiche rouge. Archipoche, Paris 2024. 160 S. Euro 7,95.
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