Das Musée du Quai Branly seziert den Zombi – ohne finales E
Hand aufs Herz: Auch Sie wären darauf hereingefallen. Von einer Ausstellung mit dem Titel „Zombis“ hätten Sie erwartet, dass diese den Fokus auf untote Beißer richtet, auf die zu faulem Fleisch gewordenen Metaphern der kommunistischen Infektion, der wissenschaftlichen Hybris, des Hirntods durch Konsumerismus oder der Verbreitung von Viren auf rabiatem Wege. Derselben Täuschung wie Sie und ich dürften noch etliche Besucherinnen und Besucher von „Zombis. La mort n’est pas une fin?“ im Pariser Musée du Quai Branly unterliegen. Die erwarteten Film- und Comicfiguren finden sich zwar im summarischen Schlusskapitel. Doch der Schwerpunkt der Schau liegt woanders. Es gibt nämlich zwei Hauptkategorien von Zombi(e)s: jene in der Fiktion und jene in der, sagen wir: magischen Realität. Erstere – erklärt dankenswerterweise der Verleger im Katalog, nicht jedoch saumseligerweise der Kurator in der Ausstellung – seien mit dem Begriff „Zombie“ zu bezeichnen. Letztere mit der Vokabel „Zombi“ – ohne finales E.

Dieser Unterscheidung gemäß geht es hier um die durch Haitis Voodoo-Religion hervorgebrachten Untoten: vom Hautgout der Lebendbestattung umwehte Wiederauferstandene. Zum Zombi ohne E wird man nicht durch Biss, sondern durch Gift und/oder Zauber. Notwendige Ingredienzien der Verwandlung sind: ein vorausgegangenes schweres Vergehen, dessen Urheber durch eine Geheimgesellschaft zur Zombifizierung verurteilt wird; eine Droge, die einen todesähnlichen Zustand herbeiführt; ein Friedhof, auf dem der Schuldige erst begraben, kurz darauf dann exhumiert wird; endlich ein bokor genannter Herr und Hexer, dem der nunmehrige Zombi dient. Dieses archetypische Profil kennt viele Abwandlungen. Bisweilen wird ein Verbrecher prozesslos zombifiziert; andere Male handelt es sich bei dem Untoten um einen Fall für die Psychiatrie oder um jemanden, der die Identität eines Verschollenen annimmt, etwa eines Kindes – mit dem Einverständnis der betroffenen Familie.

Die Schau beginnt mit der Nachbildung eines Voodoo-Sanktuariums. Kultobjekte wie Kalebassen und Kandelaber, Trommeln, Glocken sowie Klappern aus Schlangenwirbeln, verstreut um eine zentrale Tragesäule; an der Wand Akrylgemälde von Zéphirin Frantz, einem der großen lebenden Maler Haitis. Kreuze und andere Symbole zeugen vom Synkretismus mit dem Christentum; desgleichen Heiligenbilder aus Kuba oder Italien, die die römisch-katholischen Doubles von Voodoo-Gottheiten zeigen. Manche dieser loas sind westlichen Besuchern aus Serien wie „American Horror Story“ bekannt, etwa Baron Samedi, der elegante „Concierge der Toten“, oder Papa Legba, Gott der Wege, Zäune und Kreuzungen.

Im Voodoo-Kult, der alle fünf Sinne stimuliert, ja unter Hochspannung setzt, spielen Kostüme eine wichtige Rolle. Die Ausstellung punktet hier mit bunten Roben, Chemisen und Redingoten sowie mit dem reinweißen, volantbesetzten Kleid einer Eingeweihten. Auch Voodoo-Puppen sind zahlreich vertreten; knapp zwanzig oftmals gehörnte schwarzrote Kreaturen bilden gar in einem durch künstliche Kerzen schwach beleuchteten Saal einen bedrohlichen Halbrund.


Ein weiterer Clou ist die Nachbildung eines Friedhofs: In Haiti ein Ort des Lebens, wo Priesterinnen und Priester, Eingeweihte und Hexer, Götter und Zombis einander die Klinke in die Hand geben – beziehungsweise Tierschädel, Spielkarten, Sargnägel, Alkoholflaschen, Miniatursärge und Schlösser (zum Verschließen von Zaubersprüchen) weiterreichen. Mit Nachdruck arbeitet die Schau heraus, dass Zombis in den dreieinhalb Jahrhunderten des atlantischen Sklavenhandels aus der widernatürlichen, ja verbrecherischen Hybridisierung dreier Kulturkreise geboren wurden: jenem Westafrikas, wo vielerorts der Glaube an irrende Seelen und leblose Körper verbreitet war, die zeit- und teilweise Vitalität zurückerlangen können; jenem Europas, das geschätzt 12 Millionen von Männern, Frauen und Kindern in untote Arbeitssklaven verwandelte; und jenem der auf den karibischen Zielinseln (und namentlich auf Hispaniola, wo das heutige Haiti liegt) lebenden Urvölker, die ihr Wissen in Sachen Drogen an die Deportierten weitergaben.

Zombis wurden von Reisenden bereits im 17. Jahrhundert beschrieben. Doch erst mit der US-Militärintervention in Haiti ab 1915 wurde der Zombie – nunmehr mit einem E – zu einer Geistern, Mumien und Vampiren gleichgestellten Gruselfigur vornehmlich der Unterhaltungsindustrie. Das Schlusskapitel der Schau vereint, wie erwähnt, Comichefte und Schallplattencover, Filmdokumente und Überlebensratgeber zum Thema. Manche sind läppisch – wie die sechste Lieferung der Comicserie „Destroyer Duck“ mit dem Titel „Zombies in Paradise“: „a tale of pathos, peril & perspiration“ –, andere ambitiös wie die sechs kanonischen Kultfilme von George A. Romero. Von Zombis ohne E handeln zwei ebenso wunderbare wie wundersame Kunstwerke, René Depestres Roman „Hadriana dans tous mes rêves“ und Bertrand Bonellos Spielfilm „Zombi Child“.
Doch selbst die darin erzählten Rätselgeschichten reichen nicht ganz heran an die in einem früheren Kapitel der Schau vereinten „Biografien“ von acht echten (?) Zombis. Clairvius Narcisse ist der bekannteste von ihnen: 1962 – womöglich durch den eigenen Bruder – zombifiziert und begraben, tauchte er 18 Jahre später quicklebendig wieder auf und zog von da an als evangelisierender Wanderprediger durch die Welt, als leibhaftiges Gotteswunder ein idealer Werbeträger für seine Causa. Womöglich noch verstörender die Geschichte der neun Billigarbeiter, die laut dem Anthropologen William Seabrook 1918 der Haitian American Sugar Company durch einen bokor vermittelt wurden. Mit schlurfendem Schritt und glasigem Blick wie Lasttiere rackernd, ernährten sie sich einzig von Hirsebrei. Doch eines Tages brach der Genuss von Salz ihren Bann: Schreiend stürzten sie zum Friedhof ihres Heimatsorts, wo jeder auf seinem (leeren) Grab binnen kurzem verweste. Der Hexer seinerseits wurde durch Freunde und Verwandte der Neun gefangen und gemeuchelt, seinen Leichnam ließen die Rächer verschwinden. Sicher ist sicher.


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