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Marlon Brando gecancelt?

marczitzmann

Aktualisiert: 19. Dez. 2024

Polemik um eine abgesagte Ausstrahlung von „Der letzte Tango in Paris“ an der Cinémathèque française

 

Am Samstagabend hat die Cinémathèque française kurzfristig eine im Rahmen einer Marlon-Brando-Retrospektive geplante Ausstrahlung von „Der letzte Tango in Paris“ abgesagt. In dem 1972 erschienenen Spielfilm von Bernardo Bertolucci gibt es eine berüchtigte Vergewaltigungsszene; wegen den durch die weibliche Hauptdarstellerin, Maria Schneider, als traumatisierend empfundenen Umständen, unter denen diese entstanden ist, hatten Feministinnen das Fehlen einer Kontextualisierung der Projektion moniert. Das Pariser Filminstitut begründete die Annullierung der auf Sonntag angesetzten Vorstellung mit einem Sicherheitsrisiko: Gewalttätige Leute hätten sich angesagt.


In den asozialen Medien wie in den Leserkommentarspalten französischer Zeitungen hagelte es daraufhin Kritik an den Kritikerinnen der Kinemathek. Sie seien Vertreterinnen einer woken Linken, einer aktivistischen Minderheit, eines radikalen Moralismus: Einheimische Taliban-Terroristinnen beziehungsweise weibliche Ajatollahs, die Realität und Fiktion verwechselten, jeder und jedem ihre Denkweise aufzwingen wollten und mit ihrem Ruf nach Autodafés die Schaffensfreiheit bedrohten.


All diese Anwürfe trafen voll daneben. Erstens hat niemand die Annullierung der Projektion verlangt: Von verbieten, zensieren, canceln kann keine Rede sein. Zweitens bildete nicht die Darstellung einer Vergewaltigung den Stein des Anstoßes, sondern die Art und Weise, wie die betreffende Szene gedreht wurde. Was auf der Leinwand zu sehen ist, stand nicht im Skript; Bertolucci und Brando hatten es am Morgen des Drehtags ausgeheckt.



Um es so züchtig zu formulieren wie möglich: Schneider liegt da bäuchlings mit heruntergezogener Hose auf dem Boden, Brando auf ihr und behilft sich eines Stücks Butter. Selbst in den ach so permissiven Siebzigerjahren wäre es vielleicht nicht völlig deplatziert gewesen, vorab das Einverständnis der seinerzeit neunzehnjährigen Jungschauspielerin für das Drehen einer solchen Szene einzuholen. Doch Regisseur und Hauptdarsteller fielen über sie her, Letzterer buchstäblich, was Ersterer noch lange Zeit später – wenngleich mit zunehmend zur Schau getragenem schlechtem Gewissen – aus künstlerischen Gründen motivierte: „Ich wollte ihre Reaktion filmen, nicht als Schauspielerin, sondern als Frau. Sie schreit, sie sagt: ‚Nein, hör auf!‘. Sie war verletzt, weil wir ihr nicht gesagt hatten, was geschehen würde… Diese Verletzung war ein Gewinn für den Film.“


(Bild: flickr)

Schneider ist immer wieder auf die negativen Auswirkungen des Streifens als Ganzem wie dieser Szene im Besonderen auf ihr Berufs- und Privatleben zurückgekommen. Sie hat das Geschehen auf dem Set wo nicht als eine Vergewaltigung, so zumindest als einen Übergriff – nicht nur sexueller Natur – empfunden. Nach heutigem Verständnis war es klar ein solcher; in den ach so permissiven Siebzigerjahren mag man(n) das anders gesehen haben.


Jedenfalls bedürfte die Ausstrahlung eines solchen Films in einer durch Steuergelder mitfinanzierten Institution einer Kontextualisierung – aus anderen Gründen umstrittene Arbeiten wie „The Birth of a Nation“, den unverhohlen rassistischen Stummfilm von D. W. Griffith, zeigt man dort auch nicht ohne ein Minimum an Erklärungen. Es muss nicht gleich ein Symposium über Gewalt gegen Frauen im Filmmilieu sein, schon eine kleine Geste der Vermittlung würde reichen – das Collectif 50/50, das für Gleichberechtigung eintritt, verwendete bezeichnenderweise den konzilianten Begriff „Mediation“. Vorgeschlagen wurden etwa eine Podiumsdiskussion oder eine Projektion von Archivaufnahmen, in denen Schneider über ihr Trauma spricht; auch eine Ausstrahlung des heuer erschienenen Biopics „Maria“ von Jessica Palud wäre als Kontrapunkt zu „Der letzte Tango in Paris“ denkbar gewesen: Bertoluccis Skandalhit steht darin im Mittelpunkt.


Schließlich beraumte die Cinémathèque zwei Tage vor der geplanten Projektion eilig ein Gespräch mit den Zuschauern an – bevor sie die Vorstellung am Folgetag dann absagte, laut eigener Aussage besorgt um „die Sicherheit von Publikum wie Personal“. Wer waren die „gewalttätigen Leute“, die sich angesagt hatten, über welche Kanäle genau und mit welchen Drohungen? Wir hätten gern Genaueres dazu erfahren, aber die Pressesprecherin des Filminstituts schrieb uns nach mehreren Anläufen, sie habe keine Antwort auf unsere Fragen erhalten. Das klingt nun – mit Verlaub – so, als wolle das Haus sein eigenes Versäumnis vergessen machen, indem es sich zum Opfer stilisiert.

 

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