Frankreichs rechtsextremer Rassemblement national will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk privatisieren
Für den Fall, dass er demnächst an die Macht kommt, hat der rechtsextreme Rassemblement national (RN) die Zerschlagung von Frankreichs öffentlich-rechtlichem Rundfunk angekündigt. Die Großunternehmen France Télévisions und Radio France sollen privatisiert werden. Ziel ist namentlich, den Fernsehkanälen France 2 und France 5 sowie den Radiosendern France Inter und France Culture ihren angeblichen linken Ungeist auszutreiben. Philippe Ballard, ein ehemaliger Journalist, der nunmehr als rechtsextremer Abgeordneter in der Nationalversammlung sitzt, wird so nicht müde, die „schleichende Propaganda“, die „offenkundige Parteilichkeit“ und die „woken Entgleisungen“ des Service public zu geißeln. Dieser sei meist das „traurige Abbild einer entwurzelten Kaste, die die Orientierung verloren“ habe.
Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk gilt dem RN als das Sprachrohr einer multikulturellen Elite, die vom Lebensalltag der sprichwörtlichen kleinen Leute, ihren vermeintlichen Identitätsproblemen und Überfremdungsängsten keine Ahnung habe. Der Pluralismus, die Diversität der Standpunkte, die sich in besagten Kanälen ausdrücken, widersprechen frontal der rechtsextremen Vorstellung vom einen Volk mit dem einen Willen. Die Beobachterfunktion und die demokratische Kontrolle, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausübt, sind dem autoritären und in vielem antirepublikanischen RN sowieso ein Dorn im Auge.
Flau und unausgegoren wie alle Projekte der Rechtsextremen, wirft die geplante Reform etliche Fragen auf. Wird sie gleich morgen oder erst in ferner Zukunft umgesetzt? Bleiben Arte, France Info, die lokalen Ableger der Regionalsender France 3 und France Bleu im öffentlich-rechtlichen Sektor? Werden die Auslandsdienste France 24 und Radio France internationale eingestellt? Wird das Rundfunkarchiv Institut national de l’audiovisuel dem Nationalarchiv angegliedert? Die Antwort fällt anders aus, je nachdem, welche:n RN-Verantwortliche:n man fragt.
Konkret gibt es viele Hindernisse für eine Privatisierung, deren Ausmaße in Europa präzedenzlos wären. Frankreichs service public audiovisuel zählt 16 000 Angestellte. Tausende würden wohl entlassen, weitere Tausende sich auf ihr Recht zur Verweigerung der Gefolgschaft aus ethischen Gründen berufen, was mit substanziellen Abfindungen verbunden wäre. Wer könnte die betreffenden Unternehmen überhaupt erwerben? Potenzielle Interessent:innen sind meist schon selbst im Mediengeschäft tätig, viele Kaufgelüste zerschellten so an der Antimonopolgesetzgebung. Zudem wird die Konkurrenz auf die Barrikaden gehen: Derzeit schaltet France Télévisions zwischen 20 Uhr und 6 Uhr gar keine Werbung, der Radiosender France Inter höchstens 17 Minuten am Tag. Einmal privatisiert, werden sich die ehemals öffentlich-rechtlichen Kanäle auf den knapp bemessenen und hart umkämpften Werbekuchen stürzen – was die älteren Privatsender völlig destabilisieren wird.
Ferner investiert France Télévisions heute jährlich eine halbe Milliarde Euro in Serien, Spiel- und Dokumentarfilme. Zehntausende von Freiberufler:innen hängen davon ab. Was wird aus ihnen, wenn allfällig privatisierte Sender weniger produzieren und vermehrt Stangenware aus Übersee kaufen? Endlich wacht auch die EU über die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft. Seit Mai fordert ein Gesetz den „Zugang der Bürger:innen und Unternehmen zu vielfältigen Inhalten, namentlich zu qualitätvollen Informationen und zu einem unparteiischen und ausgewogenen Medienangebot“. Ein Vorstoß, um das Äquivalent der BBC zu privatisieren, stieße in Brüssel garantiert auf erbitterte Gegenwehr.
Ob der RN in zwei Wochen an die Macht kommt, ist längst nicht sicher. Falls ja, mag er auch eine andere Strategie wählen als die Privatisierung. Polen, Ungarn und Italien haben vorgemacht, wie man unliebsame Rundfunkanstalten durch Neubesetzungen von Chefposten, Umgestaltung der Aufsichtsorgane, reale oder angedrohte Subventionskürzungen auf Linie bringt. Die Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist so oder so bereits beschnitten. 2022 hat Präsident Macron die Radio- und Fernsehgebühren abgeschafft: Der service public audiovisuel wird nunmehr aus dem Staatsbudget finanziert, was die politische Einflussnahme verstärkt.
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